Herr Weinhofer, wir nähern uns dem Ende des dritten Pandemiejahres und die Aussichten auf das neue Jahr sind gekennzeichnet durch Polykrisen: Krieg in der Ukraine, hohe Inflation, noch immer anhaltende Lieferkettenprobleme und die Kostenexplosion bei der Energie – drohen Rekordfirmeninsolvenzen oder ist das Ende der Fahnenstange bereits erreicht?
Wir erleben postnormale Zeiten einer Krisenpermanenz. Die Unternehmen sind den von Ihnen genannten Herausforderungen zeitgleich ausgesetzt. Daher verwundert es nicht, dass im vergangenen Jahr die Firmeninsolvenzen in Österreich um 60% massiv gestiegen sind und damit fast das Vorpandemieniveau erreicht haben. Glaubte man, man habe Corona und die Lockdowns überwunden, kommt plötzlich die Teuerungswelle, explodierende Energiekosten und das Ende der Nullzinspolitik. Dieses toxische Umfeld war und ist für viele Unternehmen zu viel. Ich sehe daher kein Ende der Fahnenstange, sondern im Gegenteil weiter steigende Insolvenzen. Wir werden 2023 wahrscheinlich an die 6.000 Firmeninsolvenzen erleben.
Wie sieht der internationale Trend aus und unterscheidet sich dieser von der heimischen Entwicklung?
Österreichs größter Wirtschafts- und Handelspartner Deutschland zeigt sich noch recht stabil. Auch dort sind die Firmeninsolvenzen während der Pandemie auf ein historisches Tief gesunken. Aber die Trendwende ist – wenn auch nicht im heimischen Ausmaß – bereits eingetreten. Dazu kommt, dass die deutsche Wirtschaft noch stärker international vernetzt ist und daher von den weltweiten Entwicklungen wie zum Beispiel in China abhängig ist. Folgt man den Aussagen des IWF kommt im neuen Jahr einiges auf uns zu. In fast allen Ländern kehrt die Rezession ein. Derzeit hat es den Anschein, dass Österreich mit einem blauen Auge davonkommen könnte. Unser Arbeitsmarkt ist stabil, die staatlichen Hilfen (Energiepreisbremse, Abschaffung der kalten Progression u.v.m.) stützen den privaten Konsum. Die heimischen Unternehmen sind in der Mehrzahl nach wie vor ausreichend mit Eigenkapital ausgestattet. Insgesamt verfügt die österreichische Wirtschaft über eine große Krisenresilienz.
Schlagwort Insolvenzursachen – was sind aktuell die Hauptgründe für Firmeninsolvenzen und gibt es irgendwelche überraschenden Ursachen?
Die Insolvenzursachen liegen neuerdings nicht unbedingt in Managementfehlern sondern vermehrt im Kapitalmangel und damit konkret in Problemen bei der Rückzahlung der gestundeten Abgaben und Steuern sowie in der allgemeinen Wirtschaftslage. Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel und vor allem steigende Preise bei Materialien und Vorprodukte führen zu sinkenden oder gar negativen Margen, da die Teuerung nicht immer an den Endverbraucher weitergegeben werden kann. Zuerst die Lockdowns, dann der Ukraine-Krieg und das relativ neue und seit Jahrzehnten ungewohnte Phänomen einer hohen Inflation waren einfach für viele Unternehmen zu viel an Polykrisen.
Welche Ratschläge können Sie gefährdeten Unternehmer:innen geben, um das Risiko einer Insolvenz zu mindern?
Präventives Risiko- und Forderungsmanagement muss höchste Priorität in der Unternehmensführung haben. Mehr denn je gilt es, ständig die eigenen Zahlen und vor allem die Liquidität im Auge zu behalten. Forderungsverluste und damit einen Verlust an Liquidität kann man sich schlichtweg nicht mehr leisten. Um sich in diesen unsicheren und volatilen Zeiten abzusichern, sollte daher stets die Bonität der Kunden und Lieferanten geprüft werden. Es geht nicht nur darum, dass die eigenen offenen Forderungen beglichen werden, sondern auch um die Absicherung wichtiger Zulieferer, siehe das Stichwort Lieferkettenproblem.
Bereits Ende März liefen ein Großteil der Coronahilfen aus – gibt es oder sollte es immer noch Ausnahmen geben und sind oder wären diese auch immer noch gerechtfertigt?
Die großzügigen Coronahilfen der Bundesregierung waren notwendig, um den allseits befürchteten Insolvenztsunami und ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu verhindern. Die geringste Anzahl an Insolvenzen seit 40 Jahren und die niedrigste Arbeitslosenrate seit 2008 geben dieser Politik Recht. Auch die Abwicklung über die COFAG war zielführend und angesichts mangelnder Erfahrungswerte und der Dringlichkeit effizient. Natürlich kann man über einzelne Hilfen diskutieren. Letztendlich erfordern diese schwierigen Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen. Und ja, der Staat soll sich immer die Möglichkeit zum Eingriff vorbehalten, um Schlimmeres für die Volkswirtschaft zu verhindern.
Themenwechsel: Nach den Skandalen der letzten Jahre – Stichwort Commerzialbank Mattersburg oder auch etwas weiter in der Vergangenheit liegend Hypo-Alpe-Adria – bedarf es einer Bankenreform, die bestimmt längst überfällig ist. Was muss ihrer Meinung nach passieren, damit das Bankensystem zukünftig auf besseren Beinen steht?
Wie bei allen Skandalen fehlte es im Vorfeld an Transparenz. Doch ist man trotz aller engmaschigen Kontrollmöglichkeiten vor einer gewissen kriminellen Energie nie gefeit. Vielleicht kann eine einheitliche und zentrale Bankenaufsicht ausgestattet mit mehr Personal und mehr rechtlichen Befugnissen dem noch besser vorbeugen.
Ist die kriminelle Energie auf diesem Sektor in Österreich besonders hoch? Wie sieht es diesbezüglich im europäischen Vergleich aus?
Finanzskandale gab und gibt es immer und überall: von Lehman Brothers bis zu Wirecard. Österreich ist hier weder „besser“ noch „schlechter“. In einem kleinen Land sind die finanziellen Auswirkungen und moralischen Verwerfungen aber verheerender als in großen Volkswirtschaften, vor allem wenn es keine Konsequenzen gibt.
Wie sieht es mit dem Insolvenzrecht aus – gibt es hier ihrer Meinung nach Reformbedarf?
Das österreichische Insolvenzrecht ist eine Erfolgsgeschichte und schafft einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger. Liegt zum Beispiel die durchschnittliche Insolvenzquote, die Gläubiger ausgeschüttet erhalten, in Deutschland bei unter 5%, so bekommen Gläubiger in Österreich in der Firmeninsolvenz durchschnittlich circa 12% und in der Privatinsolvenz rund 28%. Dazu kommt die große Sanierungsfreundlichkeit des Insolvenzrechts, sodass rund ein Drittel aller Insolvenzverfahren in einem Sanierungsverfahren münden, bei dem das schuldnerische Unternehmen fortgeführt wird und die Gläubiger eine Mindestquote von 20% erhalten. Somit sehe ich keinen Reformbedarf.
Blicken Sie positiv in die Zukunft oder gibt es mehr Gründe pessimistisch zu sein?
Ich bin grundsätzlich optimistischer Realist, der die Grautöne beachtet und nicht nur in Schwarz-Weiß denkt. Wir haben in Österreich wie in Europa schon andere Krisen überwunden und wir werden auch diese Polykrisen meistern. Wir sind nach wie vor eines der reichsten Länder der Welt, haben eine gute Infrastruktur und erfolgreiche, innovative Unternehmen. Wir leben in einer funktionierenden Demokratie und einem Rechtsstaat. Aber die Herausforderungen sind massiv und schwierig und erfordern neues Denken und vor allem Mut zum Handeln. Zeit für lange Diskussionen und das typische „Hin- und Herrücksichteln“ haben wir nicht. Es ist Zeit, die seit Jahren bekannte Themen beim Namen zu nennen und endlich anzupacken: Staatsreform, Pflege, Pensionen, Bildung und angesichts der neuen weltpolitischen Sicherheitslage drängend auch die Landesverteidigung mit einer ehrlichen Diskussion über die Zukunft der Neutralität.
Wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen, abschließend daher noch ein paar persönlichen Fragen:
Sie sind begeisterter Jäger – Mit welcher Person, aus der Gegenwart oder Vergangenheit, würden Sie gerne auf die Jagd gehen, und warum?
Mit meinem Schwiegervater, der Berufsjäger und Förster war, da er über ein jahrzehntelanges praktisches Wissen über Flora und Fauna und eine beeindruckende Erfahrung verfügt. Jagd ist immer auch Verantwortung vor der Schöpfung und die lebt er vor.
Was war der größte berufliche Stolperstein? Wie haben Sie ihn überwunden?
Sehr herausfordernd und anspruchsvoll war es als Creditreform beim Justizministerium die Stellung eines bevorrechteten Gläubigerschutzverband beantragt hat, welche 2006 auch zuerkannt wurde. Das war für unseren Verband, der seit 1889 in Österreich tätig ist, wirklich ein Jahrhundertereignis. Letztendlich zählten Beharrlichkeit, nachvollziehbare Argumente sowie vor allem der Wunsch von tausenden österreichischen und internationalen Unternehmen nach einem weiteren Gläubigerschutzverband für mehr Wettbewerb und Transparenz in der Abwicklung von Insolvenzen.
Was macht Ihnen an ihrem Job am meisten Spaß?
Es ist erfüllend zu sehen, wenn unsere Kunden auf unsere Services vertrauen und in ihrem Risiko- und Forderungsmanagement Hand in Hand mit uns zusammenarbeiten. Dazu kommt die Vielfalt meiner Tätigkeiten: von der Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung und der neuen Arbeitswelten über die Betreuung von Großkunden bis zur Mitwirkung in der Insolvenzrechtskommission im Justizministerium. Kein Tag gleicht dem anderen. Variatio delectat!
Sie haben auch eine Affinität zur Lyrik – Vor Jahren haben Sie bei der Frankfurter Buchmesse den Lyrikband „Im Kopf ein Rauschen“ präsentiert – schreiben Sie noch oder sind Sie nur noch Konsument? Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
„Die Hauptstadt“ von Robert Menasse. Da ich einmal Praktikant beim Europäischen Parlament in Brüssel war, konnte ich das dort literarisch gezeichnete Panorama über das Leben und Arbeiten in Brüssel und in den Europäischen Institutionen gut nachvollziehen und im Roman richtig „mitleben“. Dazu kommt, dass ich leidenschaftlicher Europäer bin.
Gibt es etwas, dass Sie schon immer ausprobieren wollten, sich bisher aber nicht getraut haben?
Die Streif in Kitzbühel nach dem offiziellen Rennen im schnellst möglichen Tempo runterzufahren.
Sie können EIN globales Problem lösen – welches wäre das?
Umfassende, kostenfreie Bildung für alle, denn damit schafft man mündige und selbstbestimmte Menschen, die nach Freiheit streben.