GOTHIC MODERN – ein direkter Dialog zwischen Gotik und Moderne

Die ALBERTINA zeigt, wie der Rückgriff auf eine Kunst eine kreative Neuausrichtung ermöglichte.
© Munchmuseet / Ove Kvavik
GOTHIC MODERN – ein direkter Dialog zwischen Gotik und Moderne
Golgotha – Edvard Munch, 1900 Öl auf Leinwand.

Teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp

In der großen Herbstausstellung der ALBERTINA trifft Moderne auf Gotik. Im Fokus stehen Meisterwerke vom Symbolismus bis Expressionismus, die durch die emotionale Ausdruckskraft mittelalterlicher Kunst inspiriert sind.

„Die Moderne wird zumeist als radikaler Neubeginn und als ein Bruch mit der Tradition verstanden. Überraschend ist hierbei jedoch, dass die Künstler:innen der Moderne durchaus auch auf historische Vorbilder blickten, allerdings auf solche, die vor die akademische Tradition zurückgehen, nämlich auf Werke des Mittelalters beziehungsweise der Gotik. Genau diese ungewohnte Perspektive auf die Moderne steht im Zentrum von Gothic Modern, einer in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Ateneum Art Museum in Helsinki und dem Nationalmuseum in Oslo entstandene Ausstellung. Sie bringt moderne und gotische Werke in einen direkten Dialog miteinander und lässt auch erkennen, wie zeitgemäß und innovativ gotisches Kunstschaffen in Form und Ausdruck bereits war“, erörtert Ralph Gleis, Generaldirektor der ALBERTINA und Kurator der Ausstellung.

Bruch und Rückbesinnung

Die Moderne bedeutete vor allem einen radikalen Bruch mit der bis dahin dominierenden akademischen Tradition. Gleichzeitig richteten viele Kunstschaffende den Blick auf eine deutlich weiter zurückliegende Epoche: die Gotik.

GOTHIC MODERN – ein direkter Dialog zwischen Gotik und Moderne
Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette – Vincent van Gogh, 1886 Öl auf Leinwand.
© Van Gogh Museum Amsterdam

In der mittelalterlichen Kunst fanden sie Sujets, Motive und Ausdrucksformen, die ihrer eigenen Suche nach Wahrhaftigkeit näherkamen als die an den Akademien vermittelten Normen. In gotischen Werken sahen sie Vieles widergespiegelt, was sie im Innersten bewegte. Themen wie Liebe und Sexualität, Tod und Trauer, Glaube und Zweifel sowie die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rollen und Identitäten waren bereits im Mittelalter präsent und blieben innerhalb der Kunst der Moderne von zentraler Bedeutung.

Gothic Modern zeigt, wie der Rückgriff auf eine Kunst vor dem Beginn der akademischen Tradition eine kreative Neuausrichtung ermöglichte. Dabei werden Hauptwerke von Künstler:innen der Moderne zwischen 1875 und 1925 versammelt und in direkte Konfrontation mit ikonischen Gemälden, Grafiken und Skulpturen Alter Meister gestellt.

GOTHIC MODERN – ein direkter Dialog zwischen Gotik und Moderne
Melisande – Marianne Stokes, um 1895 Tempera auf Leinwand.
© Rheinisches Bildarchiv Köln / Wolfgang F. Meier

In einer außergewöhnlichen Gegenüberstellung der Kunstepochen veranschaulicht Gothic Modern, dass die Moderne weniger einen fundamentalen Bruch mit der Vergangenheit markierte, sondern vielmehr die gezielte Bezugnahme auf die Kunst des Spätmittelalters eine wesentliche Rolle in ihrer Entwicklung spielte. Anders als in der sehnsüchtigen Rückwärtsgewandtheit der Romantik oder dem rekonstruierenden Blick des Historismus auf dieses Zeitalter – Perspektiven, die oft in den Diensten einer politischen und nationalen Selbstvergewisserung erfolgten –, stand nun die eigentliche ästhetische Qualität der Kunst im Zentrum.

GOTHIC MODERN – ein direkter Dialog zwischen Gotik und Moderne
Selbstbildnis mit fiedelndem Tod – Arnold Böcklin, 1872 Öl auf Leinwand.
© bpk / Nationalgalerie, SMB / Andres Kilger

Moderne Künstler:innen inspirierten sich an einer expressiven Bildsprache einer als roh und unverfälscht wahrgenommenen Kunst. Zunehmend strebten sie danach, Seelenzustände sichtbar zu machen und existenzielle Krisen künstlerisch zu verarbeiten. In zumeist religiösen Darstellungen fanden sie zutiefst menschliche Gefühle wie Liebe, Leid und Trauer in einer Art vorgeprägt, die ihnen als Anknüpfungspunkt für ihr eigenes Schaffen diente.

Ebenso faszinierten traditionelle künstlerische Techniken wie Holzschnitt oder Buchkunst, die Schaffung von Glasfenstern oder Tapisserien, die nun wiederentdeckt und in die aktuelle Kunstproduktion integriert wurden.

Nordeuropa im Fokus

Besonders in den deutschsprachigen und nordeuropäischen Ländern manifestierte sich die Rückbesinnung auf die Ästhetik der Gotik als Teil der zeitgenössischen Kunstanschauung. Als wichtiges Kunstzentrum der Moderne war auch Wien um 1900 ein bedeutender Schmelztiegel für diese innovativen künstlerischen Strömungen und ein wesentlicher Knotenpunkt in der transnationalen Vernetzung Kunstschaffender.

GOTHIC MODERN – ein direkter Dialog zwischen Gotik und Moderne
Ad Astra (2. Version) – Akseli Gallen-Kallela, Öl auf Leinwand, bemalter und vergoldeter Holzschrein.
© Matias Uusikylä, Signe and Ane Gyllenberg Foundation

So stellten etwa Akseli Gallen-Kallela, Käthe Kollwitz oder Edvard Munch in der Wiener Secession aus und traten in einen fruchtbaren Austausch mit der lokalen Kunstszene, während auch Max Beckmann oder Helen Schjerfbeck in Wien Inspiration suchten.

GOTHIC MODERN – ein direkter Dialog zwischen Gotik und Moderne
Männlicher Akt – Egon Schiele, 1912 Bleistift und Aquarell auf Papier.
© Wien Museum

Die großangelegte Themenausstellung beleuchtet anhand von rund 200 Werken eine Entwicklung in der Zeit von 1875 bis 1925, in der sich zahlreiche Kunstschaffende wie Paula Modersohn-Becker, Max Beckmann, Otto Dix, Vincent van Gogh, Gustav Klimt, Käthe Kollwitz, Edvard Munch, Egon Schiele oder Helen Schjerfbeck bewusst von der ausdrucksstarken Kunst eines Holbein, Dürer, Cranach oder Baldung Grien inspirieren ließen. Die Begegnung mit der mittelalterlichen Ästhetik rief große Gefühle hervor und eröffnete den Künstler:innen neue Wege, sich mit den grundlegenden Fragen des menschlichen Daseins auseinanderzusetzen.

Gothic Modern ist vom 19. September 2025 bis 11. Jänner 2026 mit zahlreichen internationalen Leihgaben – ergänzt um Werke aus den eigenen Beständen – in der ALBERTINA zu sehen.

Begleitend zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein umfassender Katalog mit 292 Seiten und zahlreichen Abbildungen sowie Beiträgen von Ralph Gleis, Stephan Kemperdick, Marja Lahelma, Juliet Simpson, Vibeke Waallann Hansen und Julia Zaunbauer.

https://www.albertina.at

Das könnte Sie ebenfalls interessieren:

Melden Sie sich hier an

Sie sind noch nicht registriert?