Herr Virag, Arthur D. Little (ADL) gilt als erste Unternehmensberatung der Welt – gegründet vor 135 Jahren – und ist heute weltweit mit mehr als 40 Niederlassungen aktiv. Worauf ist diese Erfolgsgeschichte zurückzuführen?
Arthur D. Little erfindet sich kontinuierlich selbst neu. Unsere Unternehmenskultur erlaubt es, viele neue Ideen einbringen und auch ausprobieren zu können und ist stark unternehmerisch geprägt. Es ist uns wichtig, dass unser Geschäftsmodell breit genug ist, um aktuellen Trends Rechenschaft tragen zu können, jedoch gleichzeitig eng genug, um dem Qualitätsanspruch der Marke gerecht zu werden. Und unsere globalen Initiativen sichern, dass wir in große Themen auch ausreichend investieren.
Sie waren fast zwei Jahrzehnte im Telekommunikationssektor tätig, was war für Sie ausschlaggebend, in die Branche der Unternehmensberater zu wechseln?
Nun, kurz vor 2000 waren ja die Bubble-Jahre. Da gab es eine großartige Aufbruchstimmung sowohl in der Telekommunikations- wie auch in der Finanzdienstleistungsbranche. Am Ende war die Telekom Austria schneller, und so durfte ich meine Karriere in der Telekommunikationsbranche beginnen.
Zum Glück, denn für mich ist das bis heute die richtige Entscheidung. Ich hatte schon als Kind Software entwickelt und Funkgeräte gebaut. Da war ich 12 Jahre alt – lange vor einem Mobiltelefon. Meine Faszination hat bis heute nicht nachgelassen, wenngleich die Fragen heute natürlich andere sind. Aber gerade in meinem Segment ist die Konvergenz zwischen Telekommunikation und IT vorranging geworden. Da hilft es natürlich, sich für beide Themen auch auf technischem Niveau zu begeistern.
Warum wird das Thema Leadership speziell in Zeiten der Digitalisierung immer wichtiger?
Leadership hat wenig mit Digital zu tun. Digitalisierung ist ja eher eine Frage des „wie“ und Leadership eine Frage des „was“. Das größte Risiko bei der Digitalisierung ist, dass das Leadership des Einzelnen unterbunden wird. Nehmen wir den Feedback-Prozess als Beispiel: Wenn sich dieser auf ein Formular oder eine Meinungsumfrage reduziert, dann ist es sicher, dass Personen oder Unternehmen Chancen auslassen. Andererseits ist Digital auch oft ein „Anonymisierer“. Aus meiner Sicht braucht es also beides: digitale Werkzeuge, wie auch zwischenmenschliche Kommunikation.
In Zeiten der Pandemie hat leider oftmals die „Zwischendurch-Kommunikation“ gelitten. Der Kaffee-Tratsch, das gemeinsame Mittagessen. Das hat viel Aufmerksamkeit auf formale Meetings gelenkt. Und in diesen Meetings waren durchaus nicht alle immer mit voller Aufmerksamkeit dabei. Man konnte sich da durchaus verstecken – mit und ohne Kamera. Während formale Leader eher beobachtet wurden, gab es keine Plattform für die informellen Leader unter uns. In Abwesenheit eines physikalischen Raumes konnten weder Körpersprache noch die oftmals so wichtige „Stimmung im Raum“ wahrgenommen werden. Eine Herausforderung! Ich denke, da mussten wir alle dazulernen und neu erfahren, wie Leadership und Verbundenheit geht, auch wenn alles nur virtuell ist.
Wie beschreiben Sie Ihr Leadership?
Leadership ist eine für sich stehende, eigene Aufgabe. Das geht nicht nebenher, sondern erfordert genauso Fokussierung wie traditionelle administrative Aufgaben. Es gibt viele Dimensionen und Modelle zum Thema Leadership. Allen gemeinsam sind Elemente des positiven Spirits, Energie-Gebens und Stimulierens, die Fähigkeit, eine Vision für die Zukunft klar zeichnen zu können, Bescheidenheit und Inklusivität, Vorbild zu sein und auch Richtung zu geben und die Fähigkeit, Diskussionen auch am Punkt wieder zu beenden.
Welche Auswirkungen hatte Covid-19 auf Ihr Business?
Nun, abgesehen von der Umstellung des Arbeitsmodus, eigentlich keine gravierenden. Die Fragen, mit denen sich ADL positioniert, sind in gleicher Form relevant: bahnbrechende Innovation, Technologie und Strategie zu verbinden. Unternehmen müssen innovieren und Wachstum vorantreiben. Das ist auch oder gerade in einer Krise so – ganz egal, ob es Kostendruck gibt oder nicht.
Für uns war das Pandemiejahr ein unglaublich erfolgreiches. Wir sind in Österreich im vergangenen Jahr um >40% gewachsen. Dieses Wachstum setzen wir 2021 weiter fort.
Hat ADL spezielle „Programme“ für pandemiegeplagte Unternehmen entwickelt?
Wir haben gleich zu Beginn der Pandemie österreichische Unternehmen mit Unternehmen in Kontakt gebracht, welche den Anfang der Pandemie erfolgreich gemeistert haben – beispielsweise aus Südostasien oder Italien. Dabei war uns wichtig, gar nicht selbst im Vordergrund zu stehen, sondern einen Austausch zwischen Managern zu ermöglichen.
Gibt es bestimmte Fehler/Versäumnisse, die Sie bei Unternehmen immer wieder aufspüren?
Die meisten Unternehmen leben heute in einem Zwiespalt und müssen lernen, Gegensätze miteinander zu verbinden. Wir nennen das „Ambidextrous“. Ausprägungen davon sind, z.B. Kostenbewusstsein und Fokus auf Effizienz auf der einen Seite und die Schaffung von innovativem Freiraum und Zurverfügungstellen von Investitionsmitteln auf der anderen Seite. Fokus auf Produktivität und gleichzeitig Fokus auf Kreativität.
Jeder Top-Manager musss heute sowohl Gewissheit fordern und auf Basis von Daten und Fakten entscheiden, aber gleichzeitig in der Lage sein, ohne Daten und Fakten ebenso agieren zu können und den richtigen Instinkt zu haben.
Stichwort „Kreativität“: Welchen Rolle spielt sie hinsichtlich erfolgreicher Unternehmensentwicklung und -führung?
Das ist eine komplexe Frage. Für mich spielt Kreativität in jeder Entscheidung eine wichtige Rolle. Ansonsten wären manche Probleme schlicht nicht lösbar.
Welche Vorhaben möchten Sie unseren Lesern besonders ans Herz legen?
Ich möchte sie bitten, die fundamentalen Werte nicht zu vergessen! Es geht nach wie vor darum, mit einem Team von Mitarbeitern und Partnern einen Mehrwert für Kunden zu schaffen. Dazu ist ein jeden Tag tieferes Verständnis eben dieses Begriffes „Kunden“ nötig, ebenso wie ein tieferes Verständnis des Begriffes „Mehrwert“. Es geht dabei nicht nur um den scheinbaren Widerspruch zwischen Sparen oder Investieren. Es ist immer beides. Und das eigene Handeln muss im Kontext des Kunden und der Mitarbeiter und Partner einen Sinn haben, der über den Profit hinausgeht.
Das andere, was ich gerne ans Herz legen möchte ist, dass, auch wenn unsere Welt scheinbar zunehmend von globalen Spielern geprägt ist, welche die Wertschöpfung dominieren und konzentrieren, unsere Reaktion nicht darauf beschränkt sein darf, schwächere Marktteilnehmer zu stützen. Es muss einen Anreiz für Top-Performance geben. Und wir müssen denjenigen, die lokale Wertschöpfungspotentiale aktiv suchen, auch erlauben, außergewöhnlich erfolgreich zu sein. Sonst fehlt der nötige private Anreiz.
Wir würden Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen, abschließend daher noch ein paar persönliche Fragen:
Hatten auch Sie ein Vorbild, von dem Sie sich Dinge abgeschaut haben?
Viele! Besonders schätze ich meinen Partner-Kollegen, Karim Taga. Seine pragmatische Art und Konzentration auf das Geschäft ist einzigartig. Ich schätze alle Kollegen sehr und lerne von ihnen viel Neues dazu – auch wenn sie das nicht immer mitbekommen.
Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang tauschen?
Eigentlich fühle ich mich wohl in meiner Haut.
Gibt es ein Lebensmotto, das Sie verfolgen?
Yes, you can.
Was bedeutet für Sie persönlich Glück?
Gesund zu sein, Familie zu lieben, mit Freunden zu arbeiten.
Was inspiriert und was entspannt Sie?
Inspiriert bin ich von den großen Denkern unserer Zeit.
Am ehesten entspanne ich, wenn ich lerne. Über Physik, Mathematik, Astronomie, Fotografie, Wirtschaft, etc. Und natürlich beim Sport.
Sie können EIN Weltproblem lösen – welches wäre das?
Es sind leider zwei: die Energieversorgung und das Transportproblem. Ersteres, weil es so fundamental für unsere Umwelt ist und letzteres, weil es Ursache für viele Missstände ist.