Wir erleben die Verschiebung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Machtverhältnisse auf der Welt. Der pazifische Raum ist der neue Schwerpunkt, zwei Drittel der Weltbevölkerung lebt dort, zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung wird dort erbracht.
Die USA sehen ihre Führung gefährdet und sie reagieren nicht mit intensiverer Zusammenarbeit, sondern im Gegenteil mit Protektionismus und Handelskriegen.
Neue Weltordnung
Europa steht vor einer existenziellen Krise, weil diese Internationale Vernetzung samt den damit verbundenen Wertschöpfungsketten bisher die Basis des ökonomischen Erfolges und der sozialen Verantwortung gewesen ist. Ein halbes Jahrtausend europäischer Dominanz ist zu Ende, die europäische Sicherheit und der Wohlstand sind in Frage gestellt. Denn unser Wohlstand hängt zu 50% vom freien Welthandel ab, von der internationalen Arbeitsteilung, beides durch entsprechende Institutionen wie zum Beispiel die Welthandelsorganisation bisher regelbasiert abgesichert.
Europa sollte selbständig sein, findet sich aber allein gelassen, bevor diese Selbständigkeit realisiert wird. Der amerikanische Protektionismus und Chinas Produktionsmacht bringen uns Europäer in eine ganz schwierige Lage. Technologisch fallen wir zurück, dafür verstärken wir die Regulierungen. Andere innovieren, wir regulieren. Das kann nicht gut gehen.
Donald Trump wird versuchen bilaterale Beziehungen aufzubauen und damit die EU zu schwächen. Ob Viktor Orbán oder Giorgia Meloni, auch Herbert Kickl hat sich bereits angekündigt: Die Zentrifugalkräfte in Europa werden stärker und gefährden die Notwendigkeit einer einigen Strategie.

Perspektiven?
Genug der Analyse, die traurig, zugleich aber auch notwendig ist. Welche Perspektiven haben wir?
- Europa kann nur einig sein oder es wird nicht mehr sein: Das Bewusstsein dafür müssen wir trotz allen Gegensätzen und Unterschiedlichkeiten innerhalb Europas stärken.
- „Economy First“: Wir sind in einer schwierigen Lage und müssen in einer zunehmend bilateralen Welt auch bilaterale Partnerschaftsabkommen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur bewerkstelligen. Dazu müssen wir den Binnenmarkt komplettieren, vor allem in den Bereichen Kapitalmarkt, Digitalisierung und Energie. Es kann nicht sein, dass die Energiepreise in Europa dreimal so hoch sind wie in den USA. Da katapultieren wir uns aus der Wettbewerbsfähigkeit.
- Eine Aktivstrategie in Richtung neuer Bündnispartner: Mit Mexiko haben wir eben ein Handelsabkommen unterzeichnet. Das ist gut und richtig. Kanada steht unter dem Druck der USA, warum könnten wir nicht ein Bündnis mit Kanada schließen? Indien ist eine der aufstrebenden Supermächte. Warum nicht sehr rasch mit diesem Land, mit immer noch starker europäischer Tradition, eine Vereinbarung schließen? Oder mit Australien, das uns Europäern so nahesteht, auch wenn es geografisch weit entfernt ist?
- Europa kann und soll ein Leuchtturm in die Welt sein: Weder das Egozentrische der Amerikaner noch das Kollektivistische von China entspricht unseren Lebensstilen und Lebensgefühlen. Leistung und soziale Verantwortung, in Kombination, ist ein Lebensmodell, das unserer europäischen Identität und Werthaltung entspricht. Leben wir es und leben wir es so, dass es auch für andere nachahmenswert sein könnte!
- Schluss mit der Regulierung: Stoppen wir die Flut angeforderter Berichte (Lieferkettenverordnung, Nachhaltigkeitsberichte usw.). Fördern wir hingegen Bildung und Forschung. Sie bringen uns weiter und machen uns erfolgreich während Bürokratie und Regulierung lähmen und schlussendlich handlungsunfähig machen.
Autor: Christoph Leitl