Christoph Leitl: Wahl in Deutschland – Bedeutung für Europa

Die Wahl in Deutschland ist geschlagen, wie ist dies aus europäischer Sicht zu beurteilen.
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Christoph Leitl: Wahl in Deutschland – Bedeutung für Europa
Europa-Experte Christoph Leitl

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Welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen und was können wir aus den Entwicklungen lernen? Hierzu einige gedankliche Anregungen:

  • Die Möglichkeit einer Zwei-Parteien-Koalition zwischen der Union und der SPD ist eine – vielleicht letzte – Chance der politischen Mitte, in diesem für ganz Europa so wichtigen Land Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit zu beweisen und damit Vertrauen zurückzugewinnen.

  • Nachdem europaweit rechtspopulistische Parteien im Vormarsch sind, gilt es, auch europaweite Lösungen für die Ursachen dieses Vormarsches zu finden. Verteufeln bringt nichts, wir müssen den Menschen wieder Zuversicht geben und auf ihre Ängste eingehen, ihre Ängste vor den Brüchen in dieser Welt, der Bedrohung aus Amerika und Asien, der Bedrohung durch neue Technologien und illegaler Migration, der Angst vor Verlust von Identität und Wohlstand.

  • Um dies zu bewerkstelligen, muss Europa handlungs- und entscheidungsfähig sein und das Einstimmigkeitsprinzip durch qualifizierte Mehrheiten ersetzen. Deutschland und Frankreich müssen dazu entsprechende Initiative setzen. Angesichts der Tatsache, dass die USA von Freunden zu Feinden Europas geworden sind, ist diese Handlungsfähigkeit dringender erforderlich denn je.

  • Sicherheitspolitisch wäre ein „Sicherheitsrat für Europa“ zu installieren, wie es der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat. Einbezogen werden sollten in diesen Sicherheitsrat alle Mitglieder des Europarates, somit auch Länder wie die Schweiz, das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Ukraine und die Türkei.

Christoph Leitl Wahl in Deutschland – Bedeutung für Europa
© PantherMedia / Fotofabrika

  • Donald Trump versteht nur eine klare Sprache. Wie er in den Wald hineinruft, so muss Europa zurückrufen. Europa hat es in der Hand, nicht nur auf Waren, sondern auch auf Dienstleistungen (in diesem Bereich machen die Amerikaner deutliche Überschüsse!) zu reagieren. Weiters könnte die Europäische Union sehr rasch Kooperationsabkommen mit Lateinamerika (MERCOSUR) mit Indien und anderen Ländern unter Dach und Fach bringen.

  • Donald Trump mischt sich in Europa ein, Europa könnte sich auch in Amerika einmischen. Warum nicht den Kanadiern eine außerordentliche Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum anbieten?

  • Steigende Lebenshaltungskosten, demographische Überalterung und Überforderung der öffentlichen Leistungsfähigkeit im Gesundheits- und Pensionssystem müssten auf der europäischen Ebene sowie auf den nationalen und regionalen Ebenen zu neuen Lösungen führen. Die Vertrauenswerte in die politischen Parteien sind erschreckend gering, was auch Konsequenzen für die Legitimation der sozialen Marktwirtschaft und der liberalen Demokratie hat, wie sie in unseren europäischen Werten verankert ist.

  • Persönlich sehr erschreckt hat mich, dass große Teile der 18- bis 24-jährigen Wähler:innen, in Deutschland, extremistische Parteien gewählt haben. Ich fühle mich bestärkt in der Notwendigkeit, europäische Jugendbegegnungen, aber auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines starken Europas für die Lebensperspektiven der Menschen aufzuzeigen.

  • Ein starkes Europa benötigt ein starkes Deutschland. In den letzten Jahren war Deutschland auf europäischer Ebene kaum sichtbar, französische Vorschläge für die Weiterentwicklung, zum Beispiel für eine stufenweise Mitgliedschaft für neue Länder, bleiben unbeantwortet. Ein starkes Deutschland und ein hoffentlich bald wieder starkes Frankreich sind nach wie vor wesentliche Voraussetzungen für europäische Weiterentwicklung. Und wir Österreicher könnten dazu Beiträge leisten mit frischen Ideen für die Lösung bestehender Probleme und dem Versuch, kleinere und mittelgroße europäische Länder dazu als Verbündete zu gewinnen. Deutschland und Frankreich sind wichtig, aber nicht alles. In diesem Bereich des „alles“ sollte die künftige österreichische Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen!

Autor: Christoph Leitl

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