Herr Neumayer, Sie sind studierter Historiker und Kommunikationswissenschafter und kamen, nach beruflichen Stationen, unter anderem beim ORF als Redakteur und Chef vom Dienst, bereits 1997 zur Industriellenvereinigung. Sie sind bekannt als „Brückenbauer“ aber auch für ihre unglaubliche fachliche Kompetenz. Welche unmittelbaren, aber auch strategisch langfristigen Ziele haben Sie sich bei der IV gesetzt?
In unserer Arbeit als Interessenvertretung ist unser mittelfristiges Ziel, Österreichs Industrie wieder auf den Wettbewerbspfad zu bringen. Das bedeutet, dass die Lohnstückkosten und Energiepreise auf ein verträgliches Maß gesenkt werden sowie die Bürokratielast für die Unternehmen spürbar abnimmt.
Kurzum: Der exportorientierten Industrie muss es wieder möglich sein, ihre Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten zu können.
Angesichts der geopolitischen Lage braucht der Standort einen Befreiungsschlag. Damit verbunden ist gleichsam unser langfristiges Ziel: Österreichs Industrie wieder an die Spitze zu führen sowie Österreich zu einem Ort der Wertschöpfung, Innovationen und Investitionen zu machen.
Das Thema Nachhaltigkeit und die im Prozess befindliche Energiewende, dann noch der Krieg in der Ukraine sowie der politische Paradigmenwechsel in den USA – alles Aspekte die sowohl aus ökonomischer, aber auch geopolitischer Sicht die Deindustrialisierung Europas weiter befeuern. Ist diese Gefahr der nationalen, aber auch internationalen Politik endlich bewusst oder heißt die Maxime immer noch Negation?
In Österreich hat Verdrängung und Schönreden eine gewisse Tradition – diese Zeit ist sicher vorbei und ich sehe, dass das Verständnis für die schwierige Lage der österreichischen Wirtschaft und Industrie in der Politik zumindest teilweise angekommen ist.
Die Regierung hat zumindest den Willen, in wichtigen Bereichen positive Akzente zu setzen: etwa in der Bildung oder bei der Forschung. Auch im Bundesbudget 2025/26 werden erste Schritte gegangen, um den Staat zu sanieren. Ich habe dennoch den Eindruck, dass man sich zu substanziellen Strukturreformen noch nicht sonderlich durchringen kann – gerade die sind aber essenziell, um die Potenziale unseres Landes zu heben, dazu bräuchte es einen gemeinsamen Kraftakt.
Welche konkreten Schritte sollten gesetzt werden, um einer Deindustrialisierung Europas entgegenzuwirken?
Faktum ist, dass die Deindustrialisierung stattfindet. In Österreich ist rechnerisch gesehen in den vergangenen drei Jahren jeder fünfzehnte Wertschöpfungseuro verloren gegangen – sei es durch Abwanderung, Schließung oder Produktionsverlagerung.
Auf EU-Ebene wurde verstanden, wo die Probleme liegen. Erste Schritte wurden mit dem „Competitiveness Compass“ gesetzt, um die Bürokratie bei der Lieferkettenrichtlinie, der Nachhaltigkeitsberichterstattung oder der Taxonomie zu stutzen. Es braucht aber noch tiefergehende Entrümpelungen bei weiteren Feldern der Bürokratie, etwa bei der Entwaldungsverordnung und einigen anderen Bereichen.
Zudem braucht die Industrie eine Entlastung bei den Lohnstückkosten und eine Senkung der Energiepreise. Eine Neuauflage der Strompreiskompensation würde uns in Österreich helfen, welche die meisten EU-Länder bis 2030 umgesetzt haben.
Welche Auswirkungen haben Handelskonflikte, wie aktuell durch die USA heraufbeschworen, auf die österreichische, aber auch europäische Industrie?
Es sind zum einen die Zollaufschläge, die die Unternehmen belasten, zum anderen ist es die Unberechenbarkeit der US-Handelspolitik, die für Verunsicherung sorgt. Der negative Konjunkturimpact liegt zwischen -0,1 bis -0,3 Prozentpunkte des österreichischen BIP. Das bedeutet einen weiteren Verlust der Wettbewerbsfähigkeit in einer mittlerweile drei Jahre anhaltenden Rezession.
Glauben Sie, dass der politisch eingeschlagene Weg, zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich, positiv zu bewerten ist oder sind standortgefährliche Entwicklungen immer noch in der Überzahl?
Ich denke, dass die Regierung verstanden hat, wo der Schuh drückt und was es braucht, um die Industrie wieder zu neuer Stärke zu verhelfen.

Eine Industriestrategie wurde angekündigt, deren rasche Ausgestaltung muss wesentlich dazu beitragen, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Industrie wieder zurück zu alter Stärke zu führen, diesen Prozess werden wir als Industriellenvereinigung auch intensiv mitbegleiten.
Wie kann die neue österreichische Bundesregierung die Attraktivität des Industriestandortes für heimische Industrieunternehmen aber auch internationale Investoren erhöhen?
Wesentlich ist, die Rahmenbedingungen zu verbessern: Unternehmen in Österreich geben im Schnitt 10 bis 15 Milliarden Euro pro Jahr für die Erledigung bürokratischer Auflagen aus. Es braucht eine intelligente und effiziente Regulatorik, anstatt immer neuer Vorschriften.
Niedrige Energiepreise sind wesentlich, um unsere Produkte im Ausland zu konkurrenzfähigen Preisen anzubieten. Auch hier braucht es Maßnahmen, um die Energiepreise nachhaltig und langfristig zu senken. Nicht zuletzt müssen die Lohnstückkosten sinken, die in den letzten Jahren explodiert sind. Das ist eine Kombination, die es Betrieben aus dem In- und Ausland schwieriger macht, erfolgreich zu sein beziehungsweise überhaupt erst nach Österreich zu kommen.
Inwiefern beeinflusst die Höhe der Lohnnebenkosten, in Österreich, die Entscheidungen von Unternehmen bezüglich Standortwahl und Investitionen?
Die hohen Lohnnebenkosten sind, weil sie auch zu hohen Lohnstückkosten führen, ein Hemmnis für die Wettbewerbsfähigkeit und machen die Produktion in Österreich unnötig teurer, das kann natürlich auch die Investitionsentscheidung von Unternehmen negativ beeinflussen.
Gepaart mit hohen bürokratischen Auflagen und steigenden Energiepreisen wird es zunehmend unattraktiver hier zu investieren, gerade im Vergleich mit anderen Staaten, die mit raschen Prozessen und niedrigen Preisen locken. Immer häufiger sind so Investitionen am Standort Österreich schwer zu argumentieren.
Wie kann das Steuerwesen in Österreich reformiert werden, um den Wirtschaftsstandort Österreich international wettbewerbsfähiger zu machen?
Das kann etwa über einen wettbewerbsfähigen KöSt (Körperschaftssteuer – Anm. d. Red.) – Satz, Investitionsprämien oder Anpassungen bei den Abschreibungen erfolgen.
Genauso könnte man das Steuersystem vereinfachen und die Steuerverwaltung digitalisieren – mit dem Ziel, mehr Spielraum für Investitionen und Innovationen zu schaffen.
Welche Chancen und Risiken sehen Sie für die österreichische Industrie und Wirtschaft durch das EU-Mercosur-Abkommen?
Wir setzen uns seit Beginn an für ein Abkommen mit der Mercosur-Region ein, da es ein gut gemachtes Freihandelsabkommen ist. Es würde wesentlich dazu beitragen, die Zölle zwischen der EU und der Mercosur-Region abzubauen und die Industrie-Exporte der EU beinahe verdoppeln. Die Regierung sollte ihre Haltung zu Mercosur deshalb überdenken.
Zudem braucht es eine Diversifizierung der Handelspartner und den Abschluss neuer Handelsabkommen, etwa auch mit Indien oder den ASEAN-Staaten. Die EU-Kommission hat in den letzten Monaten handelspolitische Fortschritte forciert, auch als Antwort auf das teilweise erratische Verhalten des US-Präsidenten.
Welche Vorteile könnte das aktuell debattierte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Arabischen Emiraten für österreichische Unternehmen bringen?
Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein bedeutender Handelspartner für die österreichische Industrie. Österreichische Exporte sind im vergangenen Jahr um 24 Prozent gestiegen, heimische Unternehmen haben mehr als 12 Milliarden Euro vor Ort investiert.
Bei diesem Abkommen stehen die Liberalisierung des Handels mit Waren, Dienstleistungen und Investitionen im Fokus. Potenzial sehen wir zum Beispiel bei der Zusammenarbeit in strategischen Sektoren wie erneuerbaren Energien, grünem Wasserstoff und kritischen Rohstoffen.
Themenwechsel: Hohe Energiepreise aber auch der Fachkräftemangel belasten die heimische Industrie: Welche Maßnahmen schlägt die Industriellenvereinigung vor, um die Energiekosten für Unternehmen in Österreich zu senken?
Es ist hier sicherlich ein Maßnahmen-Mix notwendig: Unmittelbar braucht es, wie erwähnt, die Umsetzung der Strompreiskompensation, um die hohen Energiepreise abzufedern – das macht wiederum Spielraum für Investitionen frei.

Um dauerhaft verträgliche Energiepreise sicherzustellen, muss langfristig in den Ausbau erneuerbarer Energien aber auch in den Ausbau und die Stärkung bestehender Energienetze investiert werden. Das heißt auch, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Natürlich müssen wir auch das Angebot für Energieträger verbreitern.
Welche Initiativen schlägt die Industriellenvereinigung vor, um Fachkräfte in Österreich zu halten und gleichzeitig anzuziehen?
Dazu zählt vor allem die Stärkung der dualen Ausbildung – die ein Erfolgsmodell für Österreich ist – eine intensivere MINT-Förderung sowie der Ausbau beruflicher Weiterbildung.
Um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen, muss die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert und das Potenzial älterer Arbeitnehmer besser genutzt werden. Zudem braucht es eine vereinfachte und digitalisierte Rot-Weiß-Rot-Karte sowie eine rasche Anerkennung ausländischer Qualifikationen.
Mit einer echten Willkommenskultur könnten wir gezielt internationale Fachkräfte anziehen.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, den Hinweis, dass wir grundsätzlich auch Anreize brauchen, um die Arbeitszeit der Menschen zu erhöhen – wir haben eine sehr hohe Teilzeitquote, das Pensionsantrittsalter ist relativ niedrig und bei der Wochenarbeitszeit liegen wir auch etwas zurück.
Hier müssen Schritte gesetzt werden, um mehr Menschen zu einem Wechsel von der Teilzeit in die Vollzeit zu bewegen und auch strukturelle Schritte in unserem Pensionssystem werden wir mittelfristig angehen müssen.
Herr Neumayer, wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen, abschließend daher noch ein paar persönlichen Fragen:
Gibt es etwas, was Sie schon immer ausprobieren wollten, sich bisher aber nicht getraut haben?
Ein Fallschirmsprung steht noch aus.
Worüber haben Sie zuletzt gelacht?
Ich lache grundsätzlich gerne und viel – die täglichen Karikaturen von Michael Pammesberger oder Texte wie das „Purgertorium“ von Alexander Purger sind dafür ein guter Anlass.
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Ich bin Vielleser und lese einige Bücher parallel – das sind derzeit, unter vielen anderen Büchern, Karl Markus Gauss – Schuldhafte Unwissenheit und Gabriel Felbermayr / Martin Braml – Der Freihandel hat fertig.
Mit welcher Person, aus der Gegenwart oder Vergangenheit, würden Sie gerne einen Tag verbringen und wie würde sich dieser Tag gestalten?
Mit Winston Churchill – ich würde danach trachten mir seine schillernde (politische) Lebensgeschichte erzählen zu lassen und vor allem seine Einschätzung der geopolitischen Lage und Zukunft Europas zu hören.
Dies in möglichst entspannter Atmosphäre, allerdings das Badezimmer vermeidend. Winston Churchill war schließlich bekannt dafür in der Badewanne Zigarre zu rauchen und Essays und Bücher zu zitieren.
Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?
Ich wollte Pilot werden.
Sie können EIN globales Problem lösen – welches wäre das?
Den Wiederaufstieg der Autokratien und des Imperialismus.
Herr Neumayer, wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die Zukunft und herzlichen Dank für das Interview.
Danke Ihnen!