Bei der alljährlichen Matinee der Deutschen Handelskammer in Österreich (DHK) in Salzburg sprach der renommierte Wirtschaftsforscher Michael Hüther von einem „Abschied von der europäischen Moderne“ und forderte von der Politik klare Regeln für die Dekarbonisierung und den anstehenden Transformationsprozess.
Europa im Wandel
Das Ende der Moderne sieht Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, durch fundamentale Transformationen gekommen, vor welchen Europa steht – die Dekarbonisierung, die sinkende Zahl an Erwerbstätigen und eine „Ent-Europäisierung“.
Der Wirtschaftsforscher meinte, dass die Welt im 20. Jahrhundert für Europäer leichter verständlich war, weil sie größtenteils europäischen Standards folgte:
„Warum sich heute so viel rückwärts dreht und Europa nicht mehr das Leitbild für den Fortschritt ist, hat damit zu tun, dass andere Regionen der Welt ihre eigene Identität zurückerlangen wollen“, erklärte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.
Ein Beispiel seien auch die USA, die sich im Ukrainekrieg wahrscheinlich ein letztes Mal als „europäische Nation“ manifestieren.
Dekarbonisierung und Arbeitskraft
Für die nächste Dekade sagt der deutsche Ökonom eine Stagnation der Wirtschaft in der nördlichen Hemisphäre voraus, aufgrund der Dekarbonisierung und der zunehmenden Alterung der Bevölkerung.
„Selbst für China wird für das Jahr 2100 ein Erwerbspersonenpotenzial prognostiziert, das nur noch halb so hoch ist wie heute. Unter dem Strich heißt das aber nicht nur, dass Arbeitskräfte knapp werden. Es bringt Druck von der Lohnkostenseite und kostet auch Produktivität. Gleichzeitig wird der CO2-Preis bis 2030 dramatisch ansteigen und von daher einen Preisdruck auslösen“, so der Experte.
Hans Dieter Pötsch, Präsident der Deutschen Handelskammer in Österreich, hielt fest, dass Unternehmen mit der Lohnentwicklung bereits jetzt an ihre Belastungsgrenzen stoßen und der Arbeitskräftemangel auch die Wachstumsmöglichkeiten bremse.
„Parallel führen wir Diskussionen über eine weitere Reduktion der Wochenarbeitszeit. Nach meiner Einschätzung stehen beide Phänomene konträr gegenüber. Die Bundesrepublik Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Erwerbstätigen um etwa zehn Prozent auf 45 Millionen erhöht. Im gleichen Zeitraum blieben aber die geleisteten Arbeitsstunden auf dem gleichen Niveau wie vor zehn Jahren. Wir haben damit die Arbeitszeitverkürzung schon längst praktiziert“, verdeutlicht Hans Dieter Pötsch.
Zukunft gemeinsam gestalten
Krisen können auch als Chance wahrgenommen werden und nur gemeinsam können Zukunftsagenden, wie die Dekarbonisierung, angegangen werden. Denn ein Transformationsprozess löst fast immer auch einen Investitionsboom und damit neues Wachstum aus.
Laut Michael Hüther werde hier aber immer wieder nur über Detailfragen diskutiert, statt über Grundlegendes wie Verkehrs- und Netzinfrastruktur, Energienetze oder Steuersysteme.
Hans Dieter Pötsch wies ebenso auf die größte Mobilitätstransformation seit der Erfindung des Autos hin: Es braucht die richtigen Entscheidungen bei Investitionen und Innovationen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sicherzustellen.
Beide Experten sind sich aber einig: „Wir haben nur noch etwa 25 Jahre Zeit, damit auch künftige Generationen unter angemessenen Bedingungen auf dem Kontinent leben können. Wir müssen die Dinge gemeinsam angehen, die nationalen Haushalte entlasten, investieren und mutig nach vorne gehen.“
Jubiläumsjahr
Die Frühsommer-Matinee der Deutschen Handelskammer in Österreich in Salzburg wurde vor 50 Jahren das erste Mal ausgerichtet. Der Einladung von Hans Dieter Pötsch waren rund 160 Wirtschaftstreibende aus dem deutsch-österreichischen Raum gefolgt. Unter den Festrednern waren auch Salzburgs Landeshauptmann-Stellvertreter Stefan Schnöll und die Salzburger Gemeinderätin Delfa Kosic.