Libra ante portas – das Facebook-Projekt

Die Schockstarre dauerte nur kurz: Nach dem fulminanten Krypto-Crash von 2018 ist heuer bereits wieder ein neuer Hype um digitale Währungen wie Bitcoin und andere Kryptowährungen zu beobachten.

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Deren Befürworter führen mehr Gerechtigkeit, Demokratie und Fairness in der Finanz- und Restwelt an, während die Kritiker die Anfälligkeit von Krypto-Währungen für kriminelle Machenschaften anmahnen. Große Vermögensverwalter wie Fidelity haben Bitcoin-Konten angekündigt, Großbanken wie JP Morgan experimentieren mit eigenen Coins, und sogar Regulierer äußerten sich gelassener gegenüber dem inzwischen vielfach regulierten Krypto-Universum.

Und mit „Libra“ bastelt nun auch Facebook an einer eigenen Kryptowährung. Das mit 1,5 Mrd. Nutzern pro Tag größte Soziale Netzwerk will mit Partnern ein neues Bezahlsystem im Internet aufbauen. Das neue Geld soll von einer Stiftung in Genf ausgegeben werden. „Libra“ ist als sogenannter Stable Coin konzipiert, der fest an einen Korb von Reserven, vor allem Staatsanleihen, gebunden ist.

Im Unterschied zu den bisherigen, stark schwankenden Coins könnte Libra erstmals eine bedeutende Rolle als Zahlungsmittel einnehmen. Doch viele Punkte des Plans sind noch unklar: Wer kontrolliert den Libra-Algorithmus? Welche Nutzerdaten erhält das Konsortium? Und was bedeutet es für die staatlichen Währungen, wenn mit Libra eine weltweit verbreitete private Alternative bereitstünde?

Jerome Powell, Chef der US-Zentralbank Fed

Einer der prominentesten Kritiker ist der Chef der US-Zentralbank Fed, Jerome Powell. Er brachte „ernsthafte Bedenken“ gegenüber Facebooks Plan vor – worauf prompt der Bitcoin-Kurs wieder einmal um rund zwölf Prozent eingebrochen ist. Libra werfe Fragen auf im Bereich „Privatsphäre, Geldwäsche, Verbraucherschutz und Finanzstabilität“, so Powell. „Diese Bedenken sollten im Detail und öffentlich adressiert werden.“ Powell forderte einen Stopp des Projekts, bis die Fragen der Aufseher beantwortet seien – zu der geplanten Einführung innerhalb von zwölf Monaten werde es nicht kommen.

Damit schloss sich Powell einer Forderung von Maxine Waters an. Die demokratische Vorsitzende des Finanzausschusses im Repräsentantenhaus hatte bereits im Juni einen Stopp des Projekts gefordert – noch am selben Tag, an dem Facebook Details zu Libra vorgestellt hatte. Senator Sherrod Brown, der führende Demokrat im Senats-Bankenausschuss, meinte gar, Facebook seien offenbar „Reichtum und Macht zu Kopf gestiegen“. „Zusätzlich zu den komplexen und riskanten Wall-Street-Banken sind wir jetzt neuen Risiken durch nicht regulierte Techkonzerne ausgesetzt, die mit riesigen Mengen personenbezogener Daten bewaffnet sind, um Geldpolitik zu eigenen Bedingungen zu betreiben“, schimpfte Brown.

Internationale Reaktionen

Die US-Politiker stehen dabei nicht allein da: Auch in Europa wächst der Widerspruch. Zuletzt hat der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, scharfe Regulierungen gefordert. Auch das französische Finanzministerium ist hart mit Libra ins Gericht gegangen. Einem privaten Unternehmen zu erlauben, ein Gegenstück zu einer nationalen Währung aufzubauen, sei eine rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe. „Wir werden privaten Unternehmen nicht erlauben, sich die Attribute staatlicher Souveränität zu geben.“ Französische Beamte meinen, eine Währung, die von einem Unternehmen mit Hunderten von Millionen Kunden ausgegeben wird, berge inakzeptable systemische Risiken.

Die deutsche Politik wiederum schwankt bei der Suche nach einer Haltung: Aufsehen erregte ein Ende Juni von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterbreiteter Vorschlag. In einem Eckpunktepapier fordert die Union, Deutschland zum globalen Blockchain-Vorreiter zu machen. So sollen Blockchain-Anleihen und -Aktien zugelassen, eine staatseigene „Bundes-Chain“ aufgebaut sowie ein sogenannter E-Euro ausgegeben werden, ein virtuelles Euro-Pendant der Zentralbanken in Form einer wertstabilen staatlichen Kryptowährung. „Die Zentralbanken sollten über Geschäftsbanken Kryptotoken ausgeben, die diese wie Sichteinlagen handhaben“, schlägt die Union vor.

Unterstützung für Libra gab es auch von den amerikanischen Winklevoss-Zwillingen und ihrer Kryptobörse Gemini. Die beiden studierten gemeinsam mit Mark Zuckerberg an der Eliteuniversität Harvard und erklärten später, der Facebook-Chef habe ihre Idee für das Soziale Netzwerk gestohlen. Man verglich sich, Cameron und Tyler Winklevoss erhielten 650 Mio. Dollar und Facebook-Aktien. Heute gelten Facebook und Gemini als „Frenemies“, Freunde und Feinde gleichermaßen. „Wir schauen uns das Projekt ernsthaft an und sind davon begeistert“, hält es Cameron Winklevoss für gut möglich, dass Gemini bald als weiteres Mitglied zur „Libra Association“ stößt, also jener Genfer Stiftung, welche die Währung steuern soll.

Zu den Gründungsmitgliedern gehören neben Facebook/Calibra beispielsweise Finanzinstitute wie Mastercard, Visa oder PayPal, E-Commerce- und Telekommunikationsunternehmen wie eBay, Spotify, Uber oder Vodaphone, Technologieunternehmen, Risikokapitalgeber, also Investoren, die junge Unternehmen finanziell unterstützen, sowie akademische Institute und internationale Organisationen wie z.B. die Non-Profit-Organisation Mercy Corps. Zum Start von Libra 2020 sollen die Mitglieder von aktuell 28 auf rund 100 angewachsen sein.

Um Mitglied bei der Libra-Association zu werden, muss ein Unternehmen verschiedene Kriterien erfüllen, die darauf abzielen, die Libra-Währung weltweit bekannt zu machen. Dazu gehört auch eine Zahlung von zehn Mio. USD an die Libra-Association quasi als Eintrittsgebühr. Dafür haben Unternehmen, die Mitglieder sind, ein Anrecht auf Gewinne aus dem Libra-Netzwerk. Gemini ist dafür bekannt, von Anfang an eng mit Regulierern zusammenzuarbeiten, anders als viele andere Kryptoprojekte. Die Gemini-Gründer gehen davon aus, dass in den kommenden zwei Jahren auch andere Tech-Konzerne wie Amazon, Netflix und Google mit der Entwicklung einer eigenen digitalen Währung starten könnten – ein weiterer Grund für die globalen Regulierer, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Bitcoin Symbol

So soll’s funktionieren

Apropos – was bisher schon über Libra bekannt ist:

  • Das Ziel von Libra besteht darin, eine weltweit akzeptierte digitale Währung einzuführen.
  • Mit Libra sollen Nutzer digitales Geld mittels Smartphone-App an andere Nutzer versenden und empfangen können.
  • Libra soll ohne Bankkonto funktionieren – man braucht nur die App zur Verwaltung der Libra-Coins. Dafür hat Facebook die Tochterfirma Calibra gegründet, die auch die sogenannte Wallet-App (englisch für Brieftasche) dafür bereitstellt.
  • Facebook gehört offiziell nur über Calibra zu den Gründungsmitgliedern der Libra-Association; Libra ist damit kein reines Facebook-Projekt.
  • Starten soll die digitale Währung 2020, und zwar durch Reserven gedeckt: Für jeden digital ausgegebenen Libra Coin gibt es einen Gegenwert in einem Währungskorb, den die Libra-Association verwaltet. Der Kurs von Libra soll fest an diesen Währungskorb gebunden sein und somit möglichst stabil bleiben.
  • Für Spekulanten dürfte Libra somit eher uninteressant sein, da sie keine großen Kurssprünge wie beim Bitcoin erwarten können.
  • Nur von der Libra-Association autorisierte Mitglieder dürfen die digitale Währung durch Rechenleistung erzeugen. Bei den aktuellen Kryptowährungen kann dagegen mit „Mining“ jeder Coins erzeugen, der einen ausreichend starken Rechner hat.
  • Libra basiert auf einer dezentralen Datenbankstruktur. Diese ist anders als bei einer typischen Blockchain-Programmierung auf Schnelligkeit getrimmt. Libra soll bis zu 1.000 Transaktionen in der Sekunde verarbeiten können; Bitcoin schafft im Vergleich dazu gerade einmal sieben Transaktionen in dieser Zeit.
  • Diese Schnelligkeit könnte auch der Umwelt nutzen, da Kryptowährungen so viel Strom verbrauchen wie ganze Länder. Es bleibt aber abzuwarten, wie energieintensiv Libra tatsächlich sein wird: Auch Datenbank-Rechner laufen nicht ohne Strom und aufwendige Kühlsysteme, die zusätzlich große Mengen Wasser verbrauchen.
  • Für den Nutzer sollen Überweisungen mit Libra so einfach sein, wie eine Nachricht zu versenden. D.h. man kann mit dem Smartphone eine Fahrkarte kaufen, im Restaurant bezahlen oder Geld an die Familie oder an Freunde schicken.
  • Calibra soll man auch ohne Facebook- oder WhatsApp-Account nutzen können. Auch Menschen die kein Bankkonto haben, sollen so mit Calibra die Möglichkeit erhalten, Geld anzusparen und Guthaben zu verwalten. (Laut Libra-Association besitzen weltweit 1,7 Mrd. Erwachsene kein Bankkonto bzw. haben keinen Zugang zu einem Finanzsystem. Doch zwei Drittel von ihnen besitzen ein Mobiltelefon und könnten somit Libra nutzen. Damit richtet sich das Angebot von Libra auch an Menschen im globalen Süden.)
  • Calibra will in den Ländern, in denen die App auf den Markt kommt, die Auflagen der jeweiligen Finanzaufsicht erfüllen. Damit unterliegt der Konzern ähnlich wie FinTech-Banken (diese bieten digitale und technologische Neuerungen im finanziellen Bereich) den lokalen Regulierungsbehörden.

Die Libra-Association soll die digitale Währung weiterentwickeln und nach einer Testphase als Open Source für eine Entwickler-Community zur Verfügung stellen. Weiters koordiniert das Libra-Partnernetzwerk mit den sogenannten Validator Nodes – über diese gelangt reales Geld in das virtuelle Libra-System und auch wieder hinaus. Die Geldanlagen selbst sind bei unterschiedlichen Banken weltweit angelegt.

Die Libra Association kann daher als so etwas wie die Zentralbank der virtuellen Libra-Welt betrachtet werden – nur sie hat die Befugnis, Libra in Umlauf zu bringen und sie soll darüber hinaus sicherstellen, dass der Wert stabil bleibt.

Die Konkurrenz ist auch schon da

Während also Facebook an Libra bastelt, steht ein anderer großer US-Konzern ebenfalls bereits in den Startlöchern: Die Handelskette Walmart hat am 1. August ein Patent für ein “System und eine Methode für eine digitale Währung via Blockchain” eingereicht. Laut dem Patentantrag inkludiert die Methode „das Generieren einer digitalen Währung, die an eine reguläre Währung gebunden wird”: Es wird sich also voraussichtlich um einen Stablecoin handeln. Die Digitalwährung soll auf der Blockchain gespeichert, Bezahlen und Einkaufen mit dem Coin soll ermöglicht werden. Außerdem sieht der Patentantrag vor, dass die Kaufhistorie der Kunden dadurch dokumentiert wird. Und es soll möglich sein, dass ein Guthaben des Kunden festgehalten wird, welches für Einkäufe verwendet werden kann – speziell dieser Punkt hat bereits etablierte Banken und Finanzinstitute aufhorchen lassen.

Denn mit der Walmart-Digitalwährung könnten Haushalte mit geringem Einkommen, die Banken zu teuer finden, eine Alternative bei einer Institution finden, die den Großteil ihres täglichen Bedarfs abdecken kann. Walmart könnte so zum One-Stop-Shop werden, der neben dem kompletten Einkauf auch das Finanzleben der Kunden abdeckt.

Diese Pläne könnten etablierte Banken unter Druck bringen, falls sie tatsächlich umgesetzt werden. Wahrscheinlicher ist aber vorerst, dass Walmart das System für klassische Marketing- und Kundenbindungsprogramme einsetzt. Wahrscheinlich würde sich damit der Einsatz des Coins für den Endkonsumenten wenig von herkömmlichen Gutscheinkarten unterscheiden. Die Kunden würden dann einfach mit einer „neuen“ „Währung“ Karten kaufen, mit denen sie Zugriff auf die Walmart-Coins haben, die sie wiederum in Produkte einlösen können.

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