Christoph Leitl: Ist Donald Trump vielleicht verrückt geworden?

Das haben mich, in letzter Zeit, einige Menschen gefragt – eine Antwort habe ich nicht.
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Christoph Leitl: Ist Donald Trump vielleicht verrückt geworden?
Europa-Experte Christoph Leitl

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Aber sicher ist: Trump verrückt die Weltordnung. Eine Ordnung, von den USA selbst geschaffen und weit überwiegend zu ihrem eigenen Vorteil genutzt wurde und wird. Mit ihrer Wirtschaftskraft, dem Dollar, den Militärstützpunkten und ihren politischen Netzwerken dominieren sie die Welt.

Eine Welt, die sie derzeit im Begriff sind, zu zerstören. Aus ihrer Machtposition heraus versuchen sie mit Erpressung, Drohungen und Einschüchterungen die restliche Welt gefügig zu machen. Die Ankündigung der Zölle war der erste Schritt, der zweite Schritt wird eine Abwertung des Dollars sein, um damit nach den Zöllen eine weitere Stärkung der US-Exportfähigkeit zu bewirken und die drückende US-Schuldenlast zu verringern.

Abkehr von der freien Welt?

Noch wichtiger als die derzeit beobachtbare systematische globale Zerstörung der Institutionen ist der Vertrauensverlust, den die USA als ehemals Führerin der freien Welt damit erleiden. Die imperialistische Verhaltensweise, Stichwort Grönland, ist schlichtweg unmoralisch und mit den Grundwerten der freien Welt unvereinbar. Statt der Stärke des Rechts wird das Recht des Stärkeren praktiziert und damit viele autoritäre Systeme ermutigt, in gleicher Richtung zu denken und zu handeln. Putin und Xi Jinping beobachten das genau. Das stärkste liberale Gegengewicht zu den Autokratien dieser Welt geht vor unseren Augen unter.

Mag sein, dass dieses national-egoistische Verhalten, dieses Streben nach neuer Isolation (Motto: Was schert uns der Rest der Welt?), kurzfristige Erfolge für die USA zeitigt. Zu stark sind ihre Machtmittel, zu sehr versucht man, vonseiten der betroffenen Länder zähneknirschend zwar, aber doch, Kompromisse zu finden und Verhandlungen zu führen.

Dennoch: Langfristig wird damit aus Verbundenheit Abneigung, aus Freundschaft Feindschaft – und das eigentlich mit allen Teilen der Welt. Da erhebt sich die Frage, wie 4 % der Weltbevölkerung gegen 96 % sich langfristig behaupten wollen. Die dynamische Entwicklung in Asien mag da oder dort gebremst oder verzögert werden, aufzuhalten ist sie nicht. Und eines Tages wird die offene Rechnung beglichen werden.

Europa am strategischen Scheideweg

Christoph Leitl Ist Donald Trump vielleicht verrückt geworden
© PantherMedia / BrianAJackson

In dieser Situation hat Europa grundlegende strategische Überlegungen anzustellen. Einerseits ist eine Abkoppelung von den USA sicherlich schmerzhaft und mit Beeinträchtigungen verbunden, andererseits aber auch eine ganz große Chance Europas für Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und eine Wertposition zwischen einer individualistischen USA und einem kollektivistischem China. Um diese Chance zu verwirklichen sind jedoch einige Voraussetzungen erforderlich.

  • Die rasche Stärkung des Binnenmarktes als Wohlstandsfundament Europas. Gemeinsamer Kapitalmarkt, gemeinsamer Energiemarkt, gemeinsamer Dienstleistungsmarkt als Stichworte dazu.

  • Wesentlich zu stärken wäre die Innovation. Europa muss daher mit neuen Ideen und effizienterer Verwendung der vorhandenen Mittel zu einer kreativen Supermacht für die Lösung der Probleme unserer Welt werden und damit den Wohlstand künftiger Generationen sichern.

  • Weg mit der lähmenden Einstimmigkeit. So wie beim Euro oder bei Schengen sollte eine Gruppe von Ländern vorausgehen mit einer Vertiefung und Herstellung einer Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Mit Günter Verheugen, dem ehemaligen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, habe ich dazu das Modell konzentrischer Kreise entwickelt: Neben den bestehenden EU-Ländern einen erweiterten europäischen Kreis, in dem die Mitglieder des europäischen Wirtschaftsraumes und des Europarates vertreten sind sowie einen engeren Kreis – eine „Koalition der Willigen“ -, die eine politische Union zum Ziel hat, die mitwirken kann an der Lösung der großen globalen Fragen unserer Zeit, wie Sicherheit, Klimakrise, Finanzspekulation oder Migration.

  • Im Sicherheitsbereich geht es aus meiner Sicht nicht primär darum, mehr Geld in die vorhandenen Strukturen hineinzupumpen, sondern vor allem nationale Zersplitterung zu beseitigen, die derzeit einem wirkungsvollen Sicherheitssystem entgegenstehen. Gemeinsame Beschaffung, gemeinsame Strategie, gemeinsame Koordination als Stichworte dazu. Geld gibt Europa genug aus, setzt es aber nicht richtig ein. Dazu hilfreich wäre ein Sicherheitsrat für Europa mit Einbeziehung von Ländern wie Großbritannien, Norwegen, der Schweiz, der Ukraine und der Türkei.

  • Die viel diskutierte EU-Erweiterung könnte in einem Stufenmodell erfolgen: Wie bei einer Leiter, bei der Sprosse für Sprosse genommen wird und man mit jeder Sprosse einen neuen Schritt zum angestrebten Ziel bewirkt, könnten auch konkrete Mitgliedschaftsrechte durch entsprechende Weiterentwicklungen in den beitrittswilligen Ländern erreicht werden.

  • Partnerschaftsabkommen mit allen anderen Teilen der Welt sollen von der bewährten arbeitsteiligen Wirtschaft retten, was noch zu retten ist. Außerordentliche Mitgliedschaften beim Europäischen Wirtschaftsraum von Ländern wie Kanada, Indonesien oder Australien wären dabei durchaus anzudenken. Die künftige Relation zu „Big Playern“ wie China, Indien oder Russland wäre zu klären und könnte gegebenenfalls für einen langfristigen Frieden, Stichwort Ukraine, einen wichtigen Beitrag leisten. Bei Mercosur gilt: Österreich, runter von der Bremse!

  • Mit seinen Werten steht Europa nunmehr einsam da. Das ist jedoch kein Grund zum Verzweifeln, sondern zum Besinnen auf die Strahlkraft dieses Werte-Leuchtturms. Unsere Werte sollten wir jedoch selbst leben, statt andere dazu bekehren zu wollen. Kooperationen schließen Sanktionen aus. Das mag manchmal unverständlich und schmerzvoll sein (z.B. Türkei oder China), aber wir müssen uns vom wertemäßigen Kolonialismus endgültig verabschieden. Solche Verhaltensweisen bewirkten zumeist das Gegenteil des Gewünschten.

Zusammengefasst: Europa hat alle Chancen, aber es ist rasches Handeln erforderlich. Mit allen anderen partnerschaftlich zu agieren ist die beste Form, auch Europas Interessen in einer turbulenten und sich dramatisch verändernden Welt wahrzunehmen.

Und schließlich die eigenen Werte überzeugend zu leben, miteinander statt gegeneinander zu arbeiten für Demokratie und Freiheit, Leistung und soziale Verantwortung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.

Eine Illusion? Möglich. Aber wenn wir die vorgenannten Hausaufgaben machen, eine durchaus realistische Vision!

Autor: Christoph Leitl

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