Herr Pig, wir befinden uns mitten im Umbruch der Medienlandschaft. Massenmedien verlieren zunehmend an Bedeutung und durch die Digitalisierung ändert sich auch das Nutzungsverhalten der Menschen. Wie sehen Sie diese Entwicklung und welche unmittelbaren Herausforderungen warten auf den Journalismus?
Eine der größten Herausforderungen ist die viel zitierte digitale Transformation, die uns die letzten 20 Jahre in fast allen Bereichen begleitet hat und noch immer nicht abgeschlossen ist. Durch neue Technologien oder Soziale Netzwerke hat sich insbesondere auch das Mediennutzungsverhalten verändert, sowie infolgedessen die ganze Informationsgesellschaft.
Retrospektiv betrachtet lässt sich dies speziell auch an der Entwicklung der Sozialen Medien skizzieren, wo zu Beginn Euphorie herrschte und man sich erst in der jüngsten Zeit den problematischen Seiten widmete. Am Beispiel der USA lässt sich erkennen, dass die Polarisierung deutlich vorangeschritten ist. Es gibt dort kaum noch neutrale Medien und die Nachrichtenagentur AP (Associated Press) ist wahrscheinlich eines der letzten Medien, welches dieses Vakuum einstweilen noch auffüllt. Ich sehe die Herausforderung speziell bei den Sozialen Medien, die sich wahrscheinlich in einer „publizistischen Krise“ befinden. Ich glaube aber nicht, dass die Massenmedien ihre Bedeutung verlieren werden – ich halte sie vielmehr für den absoluten Anker in einer polarisierten Kommunikationswelt. Es bietet sich für Medien zumindest die Chance, diese strategische Position einzunehmen, weil gerade, befeuert durch „Generative AI“, künftig niemand mehr in der Lage sein wird, im völlig rechtsfreien digitalen Raum zu unterscheiden, ob eine Nachricht sauber nach journalistischen Standards produziert wurde, oder schlichtweg „Fake“ ist.
Trotz aller schwierigen Rahmenbedingungen glaube ich, dass klassischer Journalismus damit ein völlig neues Markenprofil besetzen könnte und sich so positioniert, wie wir es in einer demokratischen Gesellschaft sehen wollen. Denn wenn man dem Gesellschaftsmodell einer freien Demokratie anhängt – und das tue ich zu 100% – dann braucht es in dieser technologisierten Umgebung freie Medien mehr denn je.
Vorbei sind die Zeiten, wo etablierte Redaktionen in einer Art von Monopolstellung entscheiden konnten, was morgen für Mensch und Welt wichtig ist. Verfügbarkeit von Echtzeit-Informationen, die Jagd nach Klickraten aber auch das Buhlen um die spannendsten Themen stellen „alteingesessene“ Medienhäuser oft vor unlösbare Aufgaben. Wie sollte man diesen Transformationsprozess angehen und gibt es überhaupt generelle oder nur individualisierte Lösungsansätze?
Journalismus, der nur auf Aufmerksamkeit abzielt, kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Viele Mediennutzer:innen leiden schon jetzt unter der sogenannten „News Fatigue“ – also einer generellen Informationserschöpfung.
Ich glaube aber nicht, dass dies in erster Linie die Schuld von alteingesessenen Medien ist, sondern ich glaube eher, dass die ständige Verfügbarkeit und Vereinfachung in Sozialen Medien ihren Beitrag dazu geleistet haben. Die Welt ist definitiv ein komplexerer Ort geworden und gerade wenn Dinge immer komplizierter werden, wird ein Teil der Gesellschaft immer nach „Vereinfachung“ suchen. Genau deshalb stehen Politik, Medien, aber auch Wissenschaft stetig unter Druck, weil es scheinbar für einen Teil der Gesellschaft schwieriger geworden ist, Dinge auch einmal stehen zu lassen, differenzierter zu betrachten und nicht alles sofort gleich zu bewerten.
Es muss schlichtweg möglich sein, komplexe Themen auch als solche zu akzeptieren und wir sollten nicht den Versuch antreten, alles zu simplifizieren. Man braucht die Möglichkeit eines geordneten Diskurses und das muss und kann die Domäne der Medien sein. Ich glaube auch, dass dies die Sehnsucht vieler Mediennutzer:innen ist. Die Professionalität des Journalismus darf nicht aufgeben werden. Wir brauchen Journalist:innen und ihre Perspektive, um einen differenzierten Blick auf die Welt zu erhalten. Journalismus hat die Aufgabe, kritisch zu sein und objektiv Wissen zu transportieren.
Große Teile der GenZ können „klassischem“ Fernsehen nichts mehr abgewinnen, lesen keine Tageszeitungen und verfolgen nur zielgruppenspezifische Kanäle. Kann man diese Generation und die Folgenden überhaupt noch erreichen oder verlässt man sich schlicht auf den demografischen Wandel und wiegt sich zumindest unmittelbar in Sicherheit?
Aber natürlich kann man die jüngeren Generationen noch erreichen, denn sonst würde das ja bedeuten, dass junge Menschen politisch völlig uninteressiert seien. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Die Grundstruktur von Menschen kann sich nicht innerhalb von wenigen Jahren verändern. Interesse an Politik, an Veränderungen in der Welt – diese Themen werden nie langweilig werden.
Dahingehend bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch folgende Generationen erreichen werden. Die Veränderung von Konsumationsmustern – wie das Verfolgen der Nachrichten um 19:30 Uhr oder das Lesen der Tageszeitung – ist zunächst kein Problem. Geschäftsmodelle entwickeln sich weiter und jede Generation hat ihre Modelle.
Allerdings sieht man auch, dass bei dringlichen, weltbewegenden Themen immer zuerst traditionelle Medienseiten aufgesucht werden, um Verifikation zu erlangen. Neue Plattformen müssten vielmehr in die Pflicht genommen werden, sowohl regulatorisch als auch in der kommerziellen Abgeltung.
Hat die Corona-Situation der letzten Jahre aus Ihrer Sicht den medialen Transformationsprozess beschleunigt?
Die Corona-Situation hat zumindest die Nutzungsmuster bei digitalen Medien verfestigt – also ja, ich würde dem zustimmen. Die Gesellschaft insgesamt hat durch Corona einen großen Entwicklungssprung in ihrer digitalen Fitness hingelegt.
Auch die Relevanz von unabhängigem Journalismus für die Gesellschaft ist innerhalb der verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich stark ausgeprägt. Ältere Gruppen halten Qualitätsjournalismus für ein wichtiges gesellschaftliches und demokratisches „Tool“, während jüngere Generationen Nachrichten nicht mit Journalismus gleichsetzen. Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären und wie können wir die „Jugend“ von der Wichtigkeit überprüfter Information überzeugen?
Ich halte dies für eine starke Pauschalisierung, dass die Jugend Qualitätsjournalismus nicht mehr von reißerischem Boulevardjournalismus unterscheiden kann. Was sicher stimmt, ist, dass durch die permanente Berührung mit Sozialen Medien die Grenzen verschwimmen, und in manchen Zielgruppen folgt man dann anderen Anbietern oder auch Influencerinnen.
Eine Antwort darauf wäre, diese Plattformen mehr in die Verantwortung zu nehmen. Einerseits durch Reglementierungen oder auch Haftbarmachung für ihre Inhalte. In letzter Instanz ist es auch eine Frage der Bildung, was bestimmt der zentrale Punkt in dieser Frage ist.
Niklas Luhmann stellte in seiner Abhandlung „Die Realität der Massenmedien“ die These auf, dass „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien […].“ Aber – „Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können […].“ Jahrzehnte lang machten sich führende Wissenschafter berechtigte Sorgen um Qualitätsanspruch, Objektivität sowie Seriosität. Wurden Warnungen schlicht ignoriert, erklärt sich damit der Schwund von jungen, aber auch älteren Konsumenten oder worauf führen Sie den Vertrauensverlust großer Teile der Bevölkerung in etablierte Qualitätsmedien zurück?
Ich kann jetzt nur von unserem Medium sprechen (APA) – wir haben einen Objektivitätsanspruch, wir haben einen Neutralitätsanspruch und wir wissen, dass die Begriffe Wahrheit und Objektivität normative Ansprüche sind. Im journalistischen Alltag muss man sich diesem Faktum stets bewusst sein. Niemand kann hundertprozentige Wahrheit und Objektivität herstellen. Es ist und bleibt eine Annäherung. Medien unterliegen nun mal Spannungsfeldern und das ist in allen Bereichen des Lebens so.
Dass der Bogen in vielen Fällen überspannt wird, kann man vor allem anhand der „Yellow Press“ in England erkennen, aber nur weil es ein paar schwarze Schafe gibt, kann ich nicht gleich die ganze Branche in Geiselhaft nehmen. Normativ würde ich Luhmann Recht geben, denn es ist, wie schon erwähnt, ein stetiges Messen an den eigenen normativen Standards.
Was sind, aus Ihrer Perspektive, Hauptgründe für das rasante Anwachsen von Fake-News?
Ein Hauptgrund ist der rechtsfreie Raum, in dem sich die Sozialen Medien bewegen. Es braucht Regulation und, wie schon erwähnt, die Möglichkeit der Haftbarkeit für Inhalte, die auf den Plattformen publiziert werden.
Die Aufmerksamkeitsökonomie in den USA beispielsweise hat im Bereich Fake News und Desinformation wahrlich eine neue Dimension, im negativen Sinn, erreicht. Letztlich haben diese Entwicklungen aber auch viel mit der Gesellschaft selbst sowie deren politischer Kultur zu tun. Gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge sind ein wesentlicher Faktor, weswegen Debatten über Fake News und Desinformation nie pauschal beantwortetet werden können.
Wie können wir die folgenden Generationen davon überzeugen, dass Qualitätsjournalismus mehr ist als, um es süffisant zu formulieren, der Erkenntnishorizont des oder der aktuell beliebten Influencer:in?
Es hat immer schon Teile in der Bevölkerung gegeben, die für Verschwörungstheorien anfällig waren, aber ich glaube, unsere Demokratie wird das aushalten. Bildung ist hier sicher ein Schlüssel zum Erfolg. Aber ich habe nach wie vor den Eindruck, dass wir über eine kritische Gesellschaft verfügen. Eine Mehrheit konsumiert qualitativ hochwertige Medien – auch im digitalen Bereich.
Wir sollten die Jugend nicht unterschätzen – ein Großteil ist hochinteressiert, allerdings bedarf es anderer Zugänge und Modelle, um diese Zielgruppe auch erreichen zu können. Das ist sicher ein Problem, dem sich Medien stellen müssen, denn hierbei ist der Weisheit letzter Schluss noch nicht gefunden. Selbst in aktuell schwierigen Zeiten müssen wir aber auch im Auge behalten, was im Journalismus alles funktioniert – Seriosität und Objektivität ist immer noch das normative Desiderat.
Braucht es generell mehr Regulation, was das Verbreiten von Informationen betrifft?
Wie schon erwähnt, sollte dies vor allem im Bereich der Sozialen Medien Anwendung finden. Rechtsfreie Räume müssen reguliert werden.
Themenwechsel: Herr Pig, Sie sind nun schon seit 2014 Geschäftsführer der Austria Presse Agentur (APA). Die APA ist Österreichs größter und wichtigster Informationsdienstleister, mit genossenschaftlicher Struktur. Was wurde seit ihrem Amtsantritt unternommen, um die Agentur zukunftsfit zu machen und an welchen Schrauben wurde gedreht?
Ein wesentlicher Punkt war, dass wir die APA ständig weiter modernisiert haben. Wir haben die Innovationsprozesse auf neue Beine gestellt, wie zum Beispiel mit dem Innovationshub APA-medialab. Meine Meinung hierzu war immer: Innovation als „Lebensversicherung“.
Ebenso wurde Technologie als Bestandteil des redaktionellen Know-hows klar forciert und der zentrale dritte Punkt war sicher auch, dass wir die Internationalisierung stark vorangetrieben haben. Alle Maßnahmen zielen darauf ab, dieses übergeordnete Ziel zu erreichen: ein unabhängiger Nachrichtenproduzent zu sein, der sich aus eigener Kraft selbst finanzieren kann. Die APA erhält keine Subventionen und keine Werbegelder. Damit das gelingen kann, ist diese Innovationsorientierung und Diversifizierung so ein zentrales Momentum.
Ist die Rechtsform der Genossenschaft noch zeitgemäß oder ist es gar ein Modell der Zukunft?
Würde es die APA als Genossenschaft nicht geben, müsste man sie in genau dieser Rechtsform gründen. Die Digitalisierung ist sehr investitionsintensiv und genau deshalb boomen ja auch die Modelle „Sharing und Collaboration“. Ich würde die Genossenschaft tatsächlich als Modell der Zukunft bezeichnen.
Thema Wirtschaftlichkeit: Können Sie das Unternehmen anhand aktueller Kennzahlen beschreiben?
Wir erzielen als Gruppe rund 75 Mio. Euro Umsatz und haben mehr als 500 Mitarbeiter:innen in Vollzeitäquivalenten. Einstweilen sind wir ebenso Europas größte national tätige Nachrichtenagentur. Neben Wien haben wir auch in jeder Landeshauptstadt ein eigenes Redaktionsbüro.
Herr Pig, wir möchten Sie gerne auch als Privatperson etwas näher kennenlernen – daher noch ein paar persönliche Fragen:
Was macht Ihnen an ihrem Job am meisten Spaß?
Jeden Tag ein Stück für die Demokratie zu tun, da Journalismus ein Tool zur Wahrung demokratischer Mechanismen ist.
Was ist das Verrückteste, das Sie je in Ihrem Leben getan haben?
„No comment“ (lächelnd).
Was war bis jetzt der größte berufliche Stolperstein? Wie haben Sie ihn überwunden?
Glücklicherweise habe ich tatsächlich noch keine Stolpersteine erlebt.
Was inspiriert, was entspannt Sie und worauf sind Sie besonders stolz?
Stolz bin ich auf jeden Fall auf meine drei Töchter. Entspannung bringen mir Tennis spielen, im Garten arbeiten und Zeit mit der Familie verbringen. Inspirierend finde ich Menschen, die konsequent ihren eigenen Weg gehen.
Sie können EIN globales Problem lösen – welches wäre das?
Frieden herstellen.
Herr Pig, herzlichen Dank für das Interview.
Ich bedanke mich herzlich für Ihr Interesse, ihre umfassende Vorbereitung und die Vertiefung in so viele spannende Themen. Alles Gute!