Die Flut hebt alle Schiffe: So lässt sich der Effekt der bisherigen Hochkonjunktur auf OECD-Länder und BRICS-Staaten bildhaft beschreiben. Es handelt sich dabei zweifellos um eine historische Ausnahmesituation. Österreich „surft“ seit drei Jahren erfolgreich mit. Die meisten unserer Industriebranchen wachsen stärker als vor Finanzkrise und Rezession. Für 2018 ist eine Zunahme der heimischen Wirtschaftsleistung von rund 3 Prozent prognostiziert, im kommenden Jahr sollen es rund 2 Prozent sein. Der konjunkturelle Höhepunkt ist dann zweifellos überschritten und die konjunkturelle Entwicklung normalisiert sich wieder. Dies ist auch „hausgemachten“ Faktoren wie dem Fachkräftemangel geschuldet.
Während sich der bisherige standortpolitische Reformstau in Österreich tendenziell auflöst – Stichwort Arbeitszeitflexibilisierung –, sind externe Faktoren kritisch im Auge zu behalten: Ein globaler Handelsprotektionismus kann zweifellos zur Gefahr für eine weitere solide konjunkturelle Entwicklung werden. Wohl auch vor diesem Hintergrund erwartet der Internationale Währungsfonds für 2018 und 2019 ein globales Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent statt – wie früher prognostiziert – von 3,9 Prozent.
Negativ-Szenario
Käme es tatsächlich zu einer Abkehr von der bisherigen Welthandelsordnung und würden Protektionismus und Nationalismus den internationalen handelspolitischen Ton angeben, hätte dies für die Weltwirtschaft und für Österreich erhebliche Konsequenzen. Österreich exportiert rund 54 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Jeder zweite Arbeitsplatz hängt an der Exportwirtschaft. Zwischen dem Wachstum des Welthandels und dem globalen BIP besteht ein enger Zusammenhang. Handelsprotektionismus und ein Rückgang des Welthandelswachstums von aktuell rund 4,5 Prozent auf 3 Prozent könnten Österreich einen halben Prozentpunkt an Wachstum kosten. In einem solchen Szenario würde die ohnehin vorhandene Hausaufgabe, die Innovationskraft des Standortes zu stärken, noch weiter an Bedeutung gewinnen: In einem Klima des Protektionismus und der Strafzölle ist wirtschaftlicher Erfolg nur mit hochinnovativen Produkten und Dienstleistungen möglich.
Klare Agenda
Für die Industrie sind Export- und Handelserleichterungen, Marktzugang zu dynamischen Regionen und faire Handelsspielregeln essenziell. Ziel der österreichischen und europäischen Handelsagenda muss daher sein, die Regeln für den Welthandel und internationale Standards mitzugestalten. Andernfalls gerät Europa tendenziell ins Abseits. Derzeit ist die EU mit einem Anteil an globalen Warenexporten von 15,4 Prozent (2016) noch eine der führenden Handelsmächte, allerdings mit sinkender Tendenz.
Entscheidend für die Zukunft der europäischen Handelspolitik ist es, auf die unterschiedlichen externen Herausforderungen durch die USA und China die richtigen Antworten zu geben. Europas größte Mitbewerber auf den Weltmärkten verfolgen schließlich ganz unterschiedliche wirtschaftspolitische Strategien.
- Um die Wettbewerbsfähigkeit der USA zu steigern und als außenpolitisches Druckmittel hat US-Präsident Donald Trump die US-Handelspolitik neu ausgerichtet: Er möchte vor allem den Einfluss Chinas zurückdrängen, einen Regimewechsel im Iran herbeiführen sowie gegenüber Russland und der Türkei eine „harte“ Linie verfolgen. Die produzierende US-Industrie soll vor Wettbewerb geschützt und zunehmend Investitionen, etwa durch Senkung der Körperschaftsteuer (von 35 Prozent auf 21 Prozent), ins Land geholt werden.
- China hat sich in kürzester Zeit von einer abgeschotteten Volkswirtschaft zu einem wirtschaftspolitischen Machtfaktor entwickelt, der sich sogar als Verfechter des Freihandels präsentiert. Nach massivem Engagement in Afrika hat China auch den Staaten Mittel- und Osteuropas milliardenschwere Finanzierungshilfen für Investitionen – etwa in öffentliche Infrastruktur – zugesichert. Mit seinem „Seidenstraßen-Imperialismus“ will China seinen globalen Einfluss weiter erhöhen. Während China bei seinem internationalen Auftritt auf offene Märkte setzt, schottet es sich selbst partiell gegen Wettbewerb ab.
Für Europa ergeben sich auf Basis dieser Situation drei politische Prioritäten:
1. Marktzugang zu dynamischen Regionen
Die Politik muss die Basis schaffen, damit Unternehmen den bestmöglichen
Zugang zu Weltmärkten erhalten. Dafür benötigt es gut gemachte
Wirtschaftspartnerschaften und Handelsabkommen mit verbindlichen
„Spielregeln“. Seit September 2017 ist der EU-Teil von CETA vorläufig in
Kraft. Das gesamte Abkommen kann (und das betrifft auch den
Investitionsschutz) erst nach der Ratifikation durch alle 28
EU-Mitgliedsstaaten angewendet werden. Das EU-Japan-Abkommen soll 2019
in Kraft treten. Neben Abkommen mit Singapur, Vietnam, Mexiko sind
Verhandlungen mit Australien, Neuseeland, China und Mercosur über
Wirtschaftsabkommen im Laufen.
2. Wettbewerbsfähiger Standort
Unternehmen sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen
Rahmenbedingungen, die ein erfolgreiches Arbeiten ermöglichen (z. B.
Investitionen in Innovation, Flexibilität und eine Senkung der Steuer-
und Abgabenquote).
3. Schnellere Entscheidungen
Während andere Staaten auf globale Entwicklungen rasch reagieren, ist
Europa oft in komplexen langwierigen Abstimmungsprozessen verhaftet.
Dadurch gefährden wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und unseren Wohlstand.
Durch den Rückzug der USA aus internationalen Abkommen entsteht ein Vakuum, das die EU für eine stärkere handelspolitische Rolle nützen sollte. Insbesondere die Anbindung an die globalen Wachstumszentren in Asien, aber auch Lateinamerikas, sollte dabei im Vordergrund stehen, um bestmöglichen Marktzugang für europäische Unternehmen und faire Wettbewerbsbedingungen zu garantieren. Die Welt braucht nicht mehr Schranken, sondern mehr – handlungsfähiges – Europa.