Seit Beginn des Sommers sind viele Mitarbeiter auch wieder in die Büros zurückgekehrt. Hat sich dadurch für die Führungskräfte etwas verändert?
Ja, unter anderem werden die Führungskräfte seitdem verstärkt mit den unterschiedlichen Erwartungen ihrer Mitarbeiter konfrontiert. Während manche nur noch im Homeoffice arbeiten möchten, wollen andere wieder Fulltime im Betrieb sein. Und während manche an zwei festen Wochentagen zuhause arbeiten möchten, wollen andere dies situativ entscheiden.
Also sozusagen kommen, wann es ihnen passt.
Ja. Und auf all diese Wünsche und Erwartungen aus Mitarbeiter- und Unternehmenssicht angemessen zu reagieren, ist im Führungsalltag nicht leicht – auch weil es in den meisten Betrieben noch keine Richtlinien für das Arbeiten im Homeoffice gibt. Also müssen dies die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern selbst aushandeln.
Kann nicht allgemein die Maxime gelten: Jeder Mitarbeiter soll selbst entscheiden, wo er wann arbeiten möchte – zumindest sofern er nicht in einem Bereich arbeitet, in dem eine Präsenz unabdingbar ist.
Theoretisch ja, doch heute werden die meisten Kernleistungen der Unternehmen in oft bereichsübergreifender Teamarbeit erbracht. Daraus ergeben sich auch Notwendigkeiten für die Zusammenarbeit, die nicht selten auch eine Präsenz erfordern. Also gilt es die Präsenzzeiten zu koordinieren.
Was vermutlich zuweilen aufgrund der unterschiedlichen Wünsche schwierig ist.
Ja, ich habe in den zurückliegenden Wochen von Führungskräften oft Klagen gehört wie: „Ich komme mir zuweilen wie der Pflegedienstleiter eines Krankenhauses vor, der geradezu darum betteln muss, dass seine Mitarbeiter kommen, damit der Betrieb läuft.“
Deshalb plädieren Sie für Richtlinien in den Unternehmen, zum Beispiel in Form von Betriebsvereinbarungen, unter welchen Vorsetzungen und in welchem Umfang ein Arbeiten im Homeoffice möglich ist.
Ja, Richtlinien, die einen Rahmen vorgeben, inwieweit zum Beispiel in der Einarbeitungszeit ein Arbeiten im Homeoffice möglich ist.
Warum gibt es diese oft noch nicht?
Zum einen ist das Thema „hybrid arbeiten“ für meisten Unternehmen noch recht neu; zum anderen habe ich aber auch den Eindruck, viele obere Führungskräfte speziell in Großunternehmen unterschätzen, wieviel Konfliktpotenzial das Arbeiten in hybriden Teams in sich birgt und welche Risiken damit verbunden sind.
Warum?
Weil für die meisten Top-Manager von Unternehmen mit mehreren Standorten eventuell gar in unterschiedlichen Ländern das Arbeiten in hybriden bzw. virtuellen Teams geübte Praxis ist.
Inwiefern?
Nun, ihre Treffen bzw. Meetings mit ihren Kollegen im In- und Ausland fanden auch schon vor Corona weitgehend virtuell statt und dabei sammelten sie die Erfahrung: Diese Form der Zusammenarbeit funktioniert. Also gehen sie unbewusst davon aus: Dies funktioniert auch problemlos auf den uns nachgeordneten Ebenen. Sie übersehen dabei, dass dort die Arbeitsinhalte und Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit ganz andere sind.
Können Sie das erläutern?
Wenn sich das Top-Team eines Unternehmens virtuell trifft und dabei ein Teilnehmer in München, ein anderer in London und ein weiterer in New York oder Shanghai sitzt, dann geht es in der Regel primär darum, sich im Kollegenkreis über die strategische Marschrichtung zu verständigen und gewisse Grundsatzentscheidungen zu treffen. Deren Umsetzung, die eine engere Zusammenarbeit im Alltag erfordert, findet aber auf den nachgeordneten Ebenen statt.
Das heißt, im Top-Team werden im eigentlichen Sinne keine Leistungen erbracht?
Ich würde eher sagen: Das Top-Team hat primär eine Steuerungs- und Koordinierungsfunktion, es ist aber kaum in den eigentlichen Leistungserbringungsprozess involviert. Deshalb ist auf der Top-Ebene vieles möglich, was auf der operativen Ebene nicht möglich ist. Hinzu kommt, auf die Top-Ebene von Unternehmen gelangen nur Personen, die ihre Excellence in der Vergangenheit schon oft bewiesen haben. Das heißt, sie verfügen über die nötige Fachkompetenz für ihre Position und die erforderliche persönliche Reife, sich selbst zu steuern und ihre Arbeit effektiv zu organisieren. Das ist auf den nachgeordneten Ebenen oft nicht der Fall.
Inwiefern?
Auf der Bereichs-, Abteilungs- und Teamebene hat eine Führungskraft stets auch Mitarbeiter, die noch eingearbeitet oder an das Wahrnehmen komplexer Aufgaben herangeführt werden müssen, also einer individuellen Förderung bedürfen. Diese ist, wenn die Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeiten, oft schwierig. Zudem gibt es, außer den Mitarbeitern, die sich selbst führen und organisieren können, auch solche, die das Eingebunden-sein in ein Team für ihre Motivation und Selbstorganisation brauchen. Das heißt nicht, dass sie schlechte Mitarbeiter sind, aber wenn sie im Homeoffice weitgehend alleine gelassen werden, können sie sich schnell zu solchen entwickeln. Erfahrene Führungskräfte wissen das. Deshalb haben sie ihre Mitarbeiter auch in der Vergangenheit schon abhängig von ihrer fachlichen und persönlichen Reife unterschiedlich geführt. Wenn die Mitarbeiter aber einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, fällt ihnen dies schwer. Zudem erhöht sich das Konfliktpotenzial.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Das fängt bei der Frage an, wem gestatte ich in welchem Umfang ein Arbeiten zuhause. Sagen Sie mal einem Mitarbeiter, der weitgehend zuhause arbeiten möchte: „Dein Kollege darf zwar drei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten, aber du solltest maximal einen Tag dort arbeiten, weil du dich schlechter selbst führen und motivieren kannst.“ Da kommen Sie als Führungskraft schnell in Teufels Küche. Oder sagen Sie ihm: „Bei Ihnen würde ich es begrüßen, wenn Sie weitgehend im Büro arbeiten würden, weil Sie häufig Flüchtigkeitsfehler machen.“ Dann haben sie als Führungskraft schnell einen Dauerkonflikt.
Zumindest solange sie sich als Führungskraft nicht auf betriebliche Regelungen berufen können.
Ja. Hinzu kommt: Wenn ein großer Teil ihrer Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeitet, müssen die Führungskräfte auch ihr Führungs- und Kommunikationsverhalten überdenken und neu justieren. Sie müssen viele Führungsroutinen, die sie nicht selten im Verlauf von Jahren zum Beispiel beim Delegieren von Aufgaben oder Feedback geben entwickelt haben, sozusagen über Bord werfen und neue entwickeln. Das erfordert seine Zeit – auch, weil in den meisten Betrieben noch keine gewachsene Kultur des hybriden Arbeitens existiert.
Das klingt so, als hätten Sie Vorbehalte gegen das Arbeiten in hybriden Teams?
Nein, im Gegenteil. Wir arbeiten in meinem Institut seit dessen Gründung 2014 fast ausschließlich virtuell zusammen und dies hat sich bewährt. Ich plädiere jedoch dafür, dass den Führungskräften in der Übergangsphase in das Neue Normal die nötige Unterstützung seitens des Unternehmens gewährt wird. Zudem plädiere ich dafür, dass die Unternehmen beim Versuch, eine Kultur der hybriden Zusammenarbeit in ihrer Organisation zu etablieren, auch die möglichen Folgewirkungen bedenken.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel, wie wirkt sich das hybride Arbeiten auf die Identifikation mit dem Unternehmen aus? Ich höre von Führungskräften nicht selten, dass sie den Eindruck haben, dass seit ihre Mitarbeiter vermehrt im Homeoffice arbeiten, der Teamspirit sinkt und die Wechselbereitschaft der Mitarbeiter steigt. Angenommen nun ein Unternehmen stellt sich, weil seine Mitarbeiter zu 50 Prozent zuhause arbeiten, die logische Folgefrage: Braucht dann noch jeder Mitarbeiter seinen eigenen Schreibtisch im Betrieb? Rein rational betrachtet lautet die Antwort gewiss nein. Doch eng damit verbunden ist die Frage: Sinkt, wenn die Mitarbeiter im Unternehmen keinen eigenen Platz mehr haben, deren Lust ins Büro zu kommen und deren Identifikation mit dem Unternehmen noch weiter? Schließlich ist nicht jeder Mitarbeiter gern ein „digitaler Nomade“.
Wie lautet Ihre Antwort auf diese Frage?
Offen gesagt, wir haben auf sie als Institut noch keine Antwort – ebenso wie auf viele andere Fragen, die mit dem hybriden Arbeiten verbunden sind; unter anderem, weil außer den Mitarbeitern auch die Geschäftsmodelle der Unternehmen und somit auch ihre Bedürfnisse sehr verschieden sind. Deshalb müssen vermutlich auch die Lösungen individuelle sein.
Autor: Lukas Leist