Die Stimmung ist gut: Geschäfte und Restaurants haben wieder geöffnet, Reisen ist erlaubt, viele Industriebetriebe haben volle Auftragsbücher. Gerade erst hat Christoph Badelt, Chef des Wirtschaftsforschungs-Instituts Wifo angekündigt, dass sein Institut die Konjunkturprognose für heuer deutlich anheben wird. Im März waren die Wifo-Experten noch von einem Wachstumsplus von 2,3 Prozent ausgegangen – und es scheint besser zu laufen, als erwartet.
Was die gute Stimmung allerdings verderben könnte, ist ein Blick auf die Insolvenzstatistik. Die weist für das vergangene Jahr einen Rückgang der Unternehmens-Insolvenzen von 40 Prozent aus, den staatlichen Corona-Hilfsmaßnahmen und Finanzamts-Stundungen sei Dank. Die bange Frage: Was geschieht, wenn die Hilfsmaßnahmen jetzt auslaufen? Kommt dann eine gigantische Pleite-Welle auf Österreich zu, weil sich aufgestaute Probleme bei Unternehmen Gewitter-artig entladen? Kann ein solcher Pleite-Tsunami sogar den Aufschwung gefährden? Genau um diese Fragen ging es bei einer Podiumsdiskussion des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK) in den Räumen der Austria Presse Agentur APA.
In der Krise reagiert
Die gute Nachricht: Die am Podium versammelten Experten geben Entwarnung. Es werde zwar Insolvenzen und Betriebsschließungen geben, aber eine regelrechte Pleitenwelle sei nicht zu erwarten. „Viele Unternehmen haben ganz strikt ihre Liquidität gemanagt, haben die Digitalisierung vorangetrieben und neue Geschäftsmodelle entwickelt, die stehen jetzt besser da als vor der Pandemie“, so Christine Catasta, interimistische Chefin der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG.
Ricardo-José Vybiral, CEO des KSV 1870, bestätigt das teilweise: „Große Unternehmen mit hohem Eigenkapital sind gut durch die Krise gekommen, bei kleinen und Kleinstunternehmen sieht das anders aus. Aber einen ‚Insolvenz-Tsunami´ wird es nicht geben, auch wegen der Ratenzahlungsmöglichkeiten bei Finanz und Gesundheitskasse.“
Von einer „eingefrorenen Situation“ durch die Pandemie und die Hilfsmaßnahmen spricht Thomas Oberholzner, Institutsleiter der KMU Forschung Austria. „Jetzt kommt wieder Dynamik auf in der Wirtschaft“, so der Experte, „Schließungen und Gründungen werden sich die Waage halten.“
Europameister bei Sanierungen
Was ebenfalls gegen eine dramatische Pleitewelle spricht: „Die Finanzverwaltung und auch die Banken werden behutsam vorgehen und nicht Pflaster von offenen Wunden reißen“, erwartet die Wirtschaftsjournalistin Regina Forster. Außerdem gehen in Österreich 30 Prozent aller Insolvenzen in eine Sanierung, leben also weiter – eine Quote, die kein anderes europäisches Land erreicht.
Das bedeutet nicht, dass alle Unternehmen in Schwierigkeiten am Leben erhalten werden sollen. „Es bedarf in einer gesunden Wirtschaft auch einer Bereinigung“, so KSV-Chef Vybiral, „aber man muss ganz genau schauen, welche Unternehmen wir retten sollten, weil sie Zukunftspotential haben.“ Die Gelegenheit dafür ist günstig, denn „wir haben an den Gerichten aktuell eine sehr schuldnerfreundliche Stimmung. Die Insolvenzrichter und auch die Gläubiger sind Unternehmen derzeit sehr wohlwollend gestimmt. Ich sehe das auch als Chance, diese Stigmatisierung des Scheiterns endlich aufzubrechen – was dringend notwendig ist. Denn Corona ist eine Gesundheitskrise, kein Managementfehler.”
Einig waren sich die Diskutanten, dass das Land schrittweise zur wirtschaftlichen Normalität zurückkehren sollte. “Branchen, die nicht so stark von den Lockdowns betroffen waren, haben keinen Bedarf mehr an Zuschüssen“, so Oberholzner, „wenn die Kurzarbeit beispielsweise für alle weitergeführt wird, werden dadurch Personalressourcen gebunden, die an anderen Stellen dringend gebraucht werden – Stichwort Fachkräftemangel. Eine differenzierte Vorgehensweise hier und bei den Liquiditätszuschüssen nach Branchen ist unbedingt erforderlich.”
Autor: Arne Johannsen