TOP LEADER-Co-Herausgeber Dr. Christoph Leitl hat es (u.a. in seinem Buch „China am Ziel! Europa am Ende?“) immer wieder beschrieben (und davor gewarnt): Schon 2013 hat das „Reich der Mitte“ die EU27 und 2018 die USA gemessen an der Wirtschaftsleistung (in Kaufkraftparitäten) überholt. Und: In den kommenden Jahren wird der Vorsprung Chinas weiterwachsen.
In einer am 17.5. präsentierten und somit top-aktuellen Studie im Auftrag des BMDW werden jetzt vier Szenarien des US-chinesischen Handelsstreits dargestellt:
1) „Aktueller Stand“: Veränderung der Zölle zwischen den USA und China von vor Beginn des Handelsstreits bis zum aktuellen Stand (Basisszenario).
Österreich und die EU profitieren aufgrund von Handelsumlenkungseffekten von den bisherigen Entwicklungen im Handelsstreit zwischen den USA und China. Österreich baut seine Marktanteile in USA und China aus, weil Konkurrenten aus den jeweiligen Streitparteien an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
2) „Verschärfung“: Sowohl China als auch die USA heben ihre gegenseitigen aktuellen Zölle um die Hälfte an.
Österreich und die EU profitieren noch stärker als im Szenario „Aktueller Stand“. Während Exporte in die USA steigen, sinken jene nach China (sogar etwas mehr) – bei den Importen vice versa.
3) „Entschärfung“: Sowohl China als auch die USA senken ihre gegenseitigen Zölle um die Hälfte.
Hier wirken die entgegengesetzten Kräfte: Österreich und die EU verlieren in der Wohlfahrt, die Exporte nach China steigen, die Importe aus den USA sinken.
4) „Reaktion EU“: Die Europäische Union hebt ihre Zölle gegenüber China um die Hälfte an.
Eine restriktive Handelspolitik der EU gegenüber China hätte weitreichende Konsequenzen. Österreichs Importe aus China sinken in diesem Szenario um fast zehn Prozent, die Exporte nach China um knapp vier Prozent.
Während Österreichs Wohlfahrt vergleichsweise stark steigt, sinkt Chinas Wohlfahrt sogar stärker als bei einer Eskalation des Handelsstreits mit den USA. Gleichzeitig wird die Position Chinas in Schlüsselindustrien wie Computer, Elektronik und Optik deutlich: Trotz restriktiver Handelspolitik verändern sich Österreichs Importe aus China in diesem Bereich kaum.
Sowohl der innereuropäische Handel als auch der Handel mit den USA profitiert von einer restriktiveren Handelspolitik gegenüber China. Die Produktion in der EU und in Österreich sinkt.
„Unterm Strich“
Österreich und die EU profitieren aufgrund von Handelsumlenkungseffekten potenziell von einer Eskalation des US-chinesischen Handelsstreits – und vice versa. Bei einer restriktiven Handelspolitik der EU gegenüber China würde Österreich aber nicht zuletzt wegen der wichtigen Rolle Chinas in Schlüsselindustrien und trotz eines Anstiegs des innereuropäischen Handels verlieren. Durch das Phase-1-Abkommen zwischen China und den USA ist bereits mit einem Absinken der heimischen Exporte nach China zu rechnen.
Obwohl die Auswirkungen des RCEP-Abkommens relativ gering sind, verdient die ost-/südostasiatische Region die volle Aufmerksamkeit der EU. Sie sollte auch bereit sein, Ländern mit großer wirtschaftlicher Dynamik – allen voran Indonesien – Zugeständnisse zu machen. Und sie muss sich überlegen, mit welchen Angeboten – etwa im Bereich der Personenfreizügigkeit – sie Indien überzeugen kann, nicht näher an RCEP heranzurücken und stattdessen ein Abkommen mit der EU abzuschließen.
Handlungsempfehlungen für die EU
Die Studie der Autoren Sonali Chowdhry, Gabriel J. Felbermayr, Julian Hinz, Anna-Katharina Jacobs, Katrin Kamin (Federführung), Sandra Kill und Alexander Sandkamp sieht konkret folgende Optionen:
- „Sprache der Macht“: Schaffung eines souveräneren Selbstverständnisses der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, um das Vakuum, das die US-chinesische Großmachtrivalität hinterlässt, auszufüllen; bessere Koordination der Außen- und Sicherheitspolitik
- Stärkung des EU-Binnenmarkts und des Brussels-Effekts: Auftreten der EU gegenüber China oder den USA auf Augenhöhe von der Größe und Qualität des Binnenmarktes abhängig; möglichst einheitlicher und großer Binnenmarkt verschafft der EU mehr Macht bei der Setzung internationaler Standards; gemeinsame Industriepolitik, besonders in Hightech-Bereichen wie Halbleiter.
- Gemeinsame transatlantische Position gegenüber dem „Reich der Mitte“: Nicht ausschließlich defensive gemeinsame Strategie gegenüber China, sondern aktiv offensiv gemeinsame Ziele verfolgen:
- Schaffung eines Klimaklubs im Zusammenhang mit geplantem CO2-Grenzausgleich
- Zusammenarbeit im Bereich Schlüsseltechnologien
- Abbau der transatlantischen Handelsbarrieren
- Aktive Mitgestaltung des Multilateralismus und gleichzeitiger Ausbau des Netzwerks aus Handels- und Investitionsabkommen auch im Sinne des European Green Deal
- Weiterentwicklung der europäischen Sanktionsmöglichkeiten: Maximierung der Zielgenauigkeit der Maßnahmen und Minimierung der Kosten auf EU-Seite
- Ausbau von Kompensationsinstrumenten für geschädigte Unternehmen auf EU-Ebene: Schaffung eines Fonds zur Abfederung innereuropäischer Kollateralschäden einer robusten Außenhandelspolitik
Und Österreich?
Last but not least beschreibt die BMDW-Studie, wie die heimische Positionierung aussehen kann bzw. sollte:
Europa braucht sich nicht zu verstecken, sondern kann China und den USA selbstbewusst „die Stirn bieten“.
Zentrale Punkte aus Sicht Österreichs:
- EU-Unternehmen, wo immer sie agieren, faire Wettbewerbsbedingungen gewährleisten und …
- … ihnen den Zugang zu globalen Märkten erleichtern.
- Abhängigkeiten in sensiblen Bereichen reduzieren bzw. die Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern auch im Fall unerwarteter Turbulenzen sicherstellen.
- Das EU-Investitionsabkommen mit China ist ein Schritt in die richtige Richtung.
- Es braucht eine Modernisierung der WTO.
- Stärkung des Brüssel-Effekts durch Stärkung des Binnenmarktes!
- Transatlantische Kooperationen müssen ausgebaut werden
Das Resümee: Die Studie zeigt, dass es z.B. bei den Themen Multilateralismus, Klimaschutz und Technologiepolitik viele gemeinsame Interessen und erhebliche Potenziale für eine erfolgreiche transatlantische Zusammenarbeit gibt.